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Hans Albert

Geschichtswissenschaft als hypothetisch-deduktive

Disziplin - zur Kritik des methodologischen Historismus

Es gibt bekanntlich seit dem vorigen Jahrhundert einen methodologischen Autonomieanspruch für die sogenannten Geisteswissenschaften, der besonders im deutschen Denken betont und theoretisch unterbaut wurde. Man meinte einen radikalen Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaften konstatieren zu können, der zur Konsequenz habe, dass für die Geisteswissenschaften eine gänzlich andere Methodologie in Betracht komme, als man sie in den Naturwissenschaften finde. Und zwar ging es da nicht um Forschungstechniken, sondern um den allgemeinen Charakter der wissenschaftlichen Methode. Am deutlichsten kam dieser Anspruch in der These des methodologischen Historismus zum Ausdruck, dass die Geschichte es nicht wie die Naturwissenschaften mit Gesetzen zu tun habe und dass Geschichtlichkeit und Gesetzmäßigkeit miteinander unvereinbar seien.

Ich möchte nun versuchen, erstens die Gegenthese als richtig zu erweisen und zweitens darüber hinaus zu zeigen, dass Vertreter des Historismus selbst als Kronzeugen für meine Auffassung herangezogen werden können, natürlich ohne das zu wollen.

Zunächst werde ich etwas über Erkenntnisprogramme und Problemsituationen im Allgemeinen sagen. Dann werde ich kurz auf die beiden Erkenntnisprogramme des Historismus und des Naturalismus eingehen. Anschließend werde ich den methodologischen Historismus und die Zielsetzung der Historiographie charakterisieren. Dann werde ich die drei Droysen'schen Grundfragen analysieren und sie beantworten und danach noch einmal auf das Verhältnis von Tatsachen und Quellen eingehen. Nach einer Kritik des Narrativismus werde ich zum Schluss noch einmal auf das Verhältnis von Geschichtlichkeit und Gesetzmäßigkeit zurückkommen.