Hans Albert - kritischer Rationalist

Hans Alberts Wirkung reicht weit über sein Lehrgebiet hinaus. In der Philosophie sehe ich Alberts Verdienst vor allem darin, dass er die Philosophie Karl Poppers systematischer noch als dieser selbst darstellt, sie erweitert und zeigt, wie dieser von ihm mitgeprägte kritische Rationalismus auf allen Gebieten menschlicher Praxis anwendbar ist, also auch in Ökonomie, Politik, Recht und Religion  und wie außerdem Kritischer Rationalismus als Lebensform für jedermann interessant sein könnte. Die kritische Einstellung sieht Albert als eine der ältesten europäischen Traditionen, die mehr Beachtung neben anderen, weniger rationalen Traditionen verdient hätte.

Bekannt wurde Hans Albert - noch vor Erscheinen seiner Hauptwerke - durch brillante Diskussionsbeiträge während der Auseinandersetzungen mit der Frankfurter Schule im sog. "Positivismusstreit". Verwechselungen zwischen kritischem Rationalismus und positivistischen Richtungen hätten von da ab unmöglich sein sollen. Auch der Sonderstatus, mit dem bestimmte Richtungen der Sozialwissenschaften sich gegen eine mehr naturwissenschaftliche geprägte Vernunft abzuschirmen suchen, würde seitdem eigentlich nicht länger haltbar sein, gäbe es nicht eine argumentativ unüberwindbare ideologische Hürde: die "Immunisierung gegen Kritik". So lautet eine seiner einprägsamen diagnostischen Formeln, wie er sie hier für eine nicht nur unter Philosophen verbreitete intellektuelle Krankheit prägte.

Sein "Münchhausen-Trilemma" durchleuchtet das klassische Begründungsproblem, bei dem es um die Garantie sicheren Wissens geht. Jeder Versuch einer sicheren Begründung, ob deduktiv, induktiv, kausal, transzendental oder sonst wie, muss daran scheitern, dass eine sichere Begründung wiederum sicher begründet werden muss, so dass man zu keinem Ende kommt; es sei denn, man betrügt sich mit einer zirkulären Formulierung oder bricht das Verfahren irgendwo ab, was dann aber immer eine Preisgabe des Begründungsanspruchs bedeutet. Alberts Kritiker haben oft übersehen, dass seine Überlegungen keineswegs auf deduktive Begründungen beschränkt sind.

Die Anstrengungen, die gemacht werden, den Münchhausen-Trick dennoch zustande zu bringen, sich am eigenen Schopfe halten zu können, ohne in den Begründungssumpf zurückzufallen, gehören zu den heitersten Vorführungen, die die Philosophie zu bieten hat, vor allem wegen des logischen Ernstes ihrer Darsteller. Sie sind dennoch nicht ohne Sinn, denn nur die vergeblichen Widerlegungsversuche berechtigen, eine Methode  für brauchbar (bzw. eine Theorie für vorläufig wahr) zu halten.

Plädoyer für den kritischen Rationalismus, das heißt bei Hans Albert nicht feierliche Predigt des rechten Weges, sondern heiter-geniale Auseinandersetzung mit Andersdenkenden und Andersgläubigen. Während Popper davor warnte, seinen Feinden in den Sumpf zu folgen, um nicht dort mit ihnen unterzugehen, behandelt Albert seine "Gegner" als sympathische Freunde, denen er gerne in die Sümpfe ihrer dunklen Lieblingsgedanken folgt, ohne die geringste Furcht, mit ihnen in Untiefen zu versinken. Wo Heidegger das Sein im "Ab-Grund" findet, wo bei Gadamer die "Horizonte verschmelzen", Habermas im "idealen Diskurs" konsenstheoretisch die Wahrheit findet, Karl-Otto Apel transzendentale Schlingen auslegt und Hans Küng gar die "absolut-relative, diesseitig-jenseitige, transzendent-immanente, allesumgreifende-allesdurchwaltende wirklichste Wirklichkeit im Herzen der Dinge" entdeckt, ist Hans Albert mit Freude dabei: versteht, analysiert, entdeckt ungeahnte Prämissen, findet unerwartete Konsequenzen, kontrastiert mit attraktiven Alternativen und deckt schließlich den faulen Zauber auf, mit dem die Denker sich selbst und anderen etwas vorgemacht haben. Wie kein anderer und überaus elegant beherrscht er selbst den originalen Münchhausen-Trick: sich aus dem Sumpf, in denen er anderen folgte, am eigenen Philosophenschopf selbst wieder herauszuziehen (und das, obgleich da in natura - mit Verlaub gesagt - nicht viel Schopf ist; siehe Bild). Es gibt zur Zeit keinen Denker, der sich mit den wortreichen, zum Teil sehr schwierig schreibenden Denkern des 20. Jahrhunderts so intensiv auseinandersetzen in der Lage ist. Albert hat eine Reihe durchschlagender Kritiken geliefert, die die philosphischen Gewichtungen total verändern würden, wenn Philosophie wenigstens insoweit eine Wissenschaft wäre, daß die soziale Institution 'scientific community' über die Verwertung alles zugänglichen Wissens wachen würde, wie das in den Naturwissenschaften der Fall ist. 

Die Methode seiner Kritik ist konsequent kritisch-rational: sich mit denen auseinandersetzen, die eine Alternative zum kritischen Rationalismus anbieten. Es für möglich halten, dass sie recht haben. Die einzige Rechtfertigung des kritischen Rationalismus darin sehen, dass dessen Kritiker bisher nicht sonderlich erfolgreich waren. Keinen feierlichen Ernst aufkommen lassen, nirgendwo den moralisierenden Besserwisser spielen; aber die bevorzugte Lebenseinstellung nicht verbergen. Alberts Arbeiten sind auch Studien meisterhafter Kritik.

Dass Alberts Opponenten die Auseinandersetzung mit ihm scheuen (man braucht nur in die Namensregister der Bücher von z.B. XXXXXX oder XXXXXX zu schauen), kann man je nach Geschmack als Arroganz oder Vornehmheit ansehen. In jedem Fall ist es unwissenschaftlich, sich mit den Ergebnissen, die im gleichen Arbeitsfeld erreicht wurden, nicht zu befassen. Philosophie ist in diesem Sinne immer noch weitgehend unwissenschaftlich und bloß auf feuilletonistische Wirkung hin ausgerichtet. In naturwissenschaftlichen Disziplinen wäre das Augenverschließen vor der Forschung der anderen, wenn schon nicht undenkbar, so doch in jedem konkreten Fall mit Sanktionen der scientific community belegt. Vielleicht sind die Qualitätsunterschiede das, was der anderen Seite die Diskussion schwer macht: Philosophische Denkweisen verhalten sich zueinander wie Theorien: die umfassendere Theorie erklärt die schwächere und erklärt deren Fehler; nicht umgekehrt. Die umfassendere leistet alles, was die andere leistet oder zu leisten vorgibt und geht - wie im Fall Albert - weit über sie hinaus.

Hans-Joachim Niemann  5. März 2000  (Die Schwärzung XXXXXX, um juristische Verdienstquellen zu verstopfen.)

Copyright Albert picture: Hans Abert, Heidelberg

Siehe auch: Eric Hilgendorf: Hans Albert. Zur Einführung Junius Verlag 1997.