3. Arbeitskreis für den Bund für Geistesfreiheit (1992-1994)

(Dem BFG gehöre ich nicht an, da ich unabhängig bleiben will. Ich begrüße aber einige seiner Ziele.)

 

Arbeitskreis Kritischer Rationalismus im bfg (Dr.Niemann)

 

P R O G R A M M

Ort: Bund für Geistesfreiheit, Nürnberg, Karl-Brögerstr.13

Zeit: 18.00-ca.20.00 Uhr

22.09.1992 (1): Zu Poppers 90. Geburtstag: Die stille Aufklärung (Vortrag)

Poppers Ideen und biographische Notizen. In Deutschland hat die Frankfurter Schule den Kritischen Rationalismus um seine Wirkung gebracht. Hierzulande wird daher die Aufklärung immer noch in einem schlechten Licht gesehen. Adorno z.B. versuchte, eine Verbindung zu Auschwitz herzustellen. Popper knüpft an Kants Aufklärung an: Den Menschen mündig machen, heißt Befreiung von undurchschauten Abhängigkeiten (eine Formulierung Hans Alberts). Vor allem aber in ihren Gedanken sind viele Menschen abhängig von dem, was schlechte Vordenker ihnen eingegeben haben.

Arbeitsmaterial: Kopie des Vortrages  

20.10.1992 (2): Über 'richtig'  und 'falsch'  in der Metaphysik (Vortrag)

Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Metaphysik: entscheidend ist die Überprüfbarkeit anhand der Erfahrung. Abgrenzung zwischen Metaphysik und Unsinn: entscheidend ist, ob ein wirkliches Pro­blem gelöst wird. Ob es Atome gibt war 2000 Jahre unverifizierbar, dennoch war es keine sinnlose Frage. (Ernst Mach: "Hom'S eins g'sehn?") D.h. manche Metaphysik ist brauchbar, weil sie ein Problem löst: hier die vorläufige Erklärung der Materie. Und so geht man mit Metaphysik um: Herausfinden, welches Problem gelöst werden sollte; prüfen,  ob es gelöst wurde und ob nicht eine andere Theorie es besser löst.

Arbeitsmaterial: Konzept des Vortrages und Popper Aufsatz "Über die angebliche Unwiderlegbarkeit metaphysischer Theorien" (Club Voltaire, IBDK-Verlag, S.271-279) 

17.11.1992 (3): Über 'richtig' und 'falsch' in der Moral

Verkürzte Sitzung wegen Diskussion "Marion P."

Vorweggenommener Schnellkurs anläßlich des Falls 'Marion P.'. Moral will ewig sein, aber das schafft sie nicht. Die alten Prinzipien versagen bei neuen Problemen. Die moralischen Regeln für neuartige Fälle müssen erst noch erfunden werden. Daher bei neuartigen Problemen: Nicht rückwärts (deutsch) nach goldenen Regeln suchen, sondern stets vorwärts blicken auf die Konsequenzen (angelsächsisch), die die Entscheidung für alle Betroffenen hat. Im ersten Anlauf die beste Problemlösung für den vorliegenden Fall finden. Im zweiten Anlauf eine Regel erfinden, an die man sich in ähnlichen Fällen künftig halten kann, weil sie der beste Problemlösungskompromiß ist.

Arbeitsmaterial: Arbeitsblatt "Neue moralische Probleme"

15.12.1992 (4): Popper: Über Duldsamkeit und intellektuelle Verantwortlichkeit (Tonband: Popper-Vortrag, Tübingen 1981)

Wir müssen eine neue Einstellung zu unseren Fehlern finden. Man kann nie alle Fehler vermeiden. Weil wir selber Fehler machen, müssen wir tolerant mit anderen sein. Keiner soll Autorität spielen: auch auf seinem Fachgebiet weiß niemand alles. Zu jedem Experten gibt es einen zweiten Experten, der das Gegenteil sagt (Russell). Daher kritisch sein, auf Fehler achten, aus Fehlern lernen. Wenn wir in unseren besten Meinungen einen Fehler entdecken, wissen wir: jetzt können wir ein Stück weiter­kommen, sofern wir über diesen Fehler nachdenken. Kritik an anderen muß immer konkret sein (wer? was? wann?) Zwölf Regeln für eine neue Berufsethik.

Popper-Vortrag vom Tonband (50 Min) Arbeitsmaterial: Kopie des Popper-Vortrags

12.01.1993 (5): Der kritischen Rationalismus: sein Platz in der gegenwärtigen Philosophie  und seine Antwort auf die Frage 'Was soll Philosophie?' I. Fünf Hauptströmungen heute:

* analytisch-sprachorientierte Philosophie

* dialektisch-neomarxistische Philosophie

* pragmatisch-hermeneutische Philosophie

* dadaistisch-relativistische ('postmoderne') Philosophie

* kritisch-rationale Philosophie

II. Popper-Aufsatz: "Wie ich Philosophie sehe": Philosophie ist nicht eine Art Kunstwerk eines Indi­viduums und nicht Ausdruck des Zeitgeistes (Hegel). Die meisten Philosophen haben schlechte Ge­danken propagiert; und die meisten, seit Hegel, schreiben schlecht (unverständliche 'Imponierprosa'). Sie sind keine Geistesheroen, sondern eher so etwas wie geistige Verbrecher. Am Anfang war das Wort: auch bei Hitler, auch bei Stalin. Wer heute Philosoph ist, muß sich entschuldigen, warum er einer ist. Popper entschuldigt sich: die meisten Menschen sind Philosophen, aber schlechte; man muß sie auf falsche Gedanken und auf ihre Kritiklosigkeit aufmerksam machen. Beispiele für angeblich Selbstverständliches: Verschwörungstheorie; Mythos vom gemeinsamen intellektuellen Standpunkt, Mythos vom interessegeleiteten Denken, Relativismus, Identifizierung der Kirche mit dem Guten, Demokratie als Volksherrschaft, Glaube an Quellen der Erkenntnis (AdS 56).

Arbeitsmaterial:  Schema: Historische Einordnung... Kopie des Popper-Aufsatzes "Wie ich Philosophie sehe" Programm des bfg-Arbeitskreises kritischer Rationalismus

9.2.1993 (6): Die Kernideen des kritischen Rationalismus oder:    Der Abschied vom Begründungsdenken.

Drei Sätze Mini-Logik: a: Wahres folgt auch aus Falschem. b: Aus Wahrem folgt nie Falsches. c: Erkenntnisse oder Handlungen haben immer unendlich viele mögliche Konsequenzen. Hans Alberts 'Münchhausen-Trilemma': wahre Begründungen sind unmöglich; wegen: 1: unendliche Folge von Begründung der Begründung der Begründung; 2: zirkuläre Erklärung oder 3: Kapitulation beim Begründungsversuch. Entweder Gewißheit oder Wahrheit, aber nie beides. Die Idee der kritischen Prüfung ersetzt die vergebliche Suche nach Begründungen. Grundzüge des kritischen Rationalismus aus der Sicht Hans Alberts: (1) Konsequenter Fallibilismus. (2) Methodischer Rationalismus. (3) Kritischer Realismus. (4) Methodischer Falsifikationismus.

Arbeitsmaterial: Zitate aus Albert-Schriften

 9.3.1993 (7): Evolutionäres Denken oder: Die Logik der Forschung

Wissenschaft und Antiwissenschaft. Habermas und seine kommunikative Vernunft. Die Vernunft der Wissenschaft.

"Die Logik der Forschung" (1934): Das Induktionsproblem. Das Abgrenzungsproblem. Von Popper übernommene Kant-Positionen. Kontext der Entdeckung und Kontext der Rechtfertigung auseinander­halten. Die Asymmetrie von Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit. Differenzen mit dem 'Positivismus'  des Wiener Kreises. Wer ist ein Positivist? Die "Objektive Erkenntnis" (1972): Poppers evolu­tionäre Erkenntnistheorie. Das Schema Problem--->versuchte Lösung--->Konsequenzen/Fehler--->neuer Lösungsversuch--->usw. Was heißt objektives Erkenntnis? Die Vernunft der Wissenschaften im Alltagsdenken: Poppers und Alberts Übertragungsprogramm.

Arbeitsmaterial: Popper-Aufsatz: "Über Wissen und Nichtwissen".

Popper-Zitate aus "Objektive Erkenntnis" und "Logik der Forschung" und dem Aufsatz "Das Wach­stum des Wissens"

13.4.1993 (8): Verläuft die Geschichte nach Gesetzen?

Aus Poppers "Utopie und Gewalt", "Das Elend des Historizismus". Die Zukunft des Menschen ist prinzipiell offen. Denn sie hängt stark ab von dem, was wir Neues wissen. Das Wissen von morgen kann man nicht heute wissen. Historismus A: Geschichte als neutrale Sammlung aller Details. Historismus B: Erklärt ist nur, was man historisch erklärt. Historizismus: die Geschichte verläuft nach Gesetzen. Alle drei Ideologien sind falsch. Daher: Utopien sind immer Trugbilder. Wer Menschen opfert, damit die Utopie erreicht wird, oder Menschen umerzieht, damit sie in seine Utopie passen, ist ein Verbrecher. Wer den Irrtum ausschließt und an neues Wissen nicht glaubt, soll sich aus der Politik fernhalten. Wer den Himmel verspricht, wird die Hölle bringen. Politik hat nicht Ziele zu setzen, Glück zu bringen, sondern Mängel zu beseitigen und Fehler zu korrigieren.

Arbeitsmaterial: Popper-Aufsatz "Utopie und Gewalt" und Zitate aus dem "Elend des Historizismus"

18.5.1993 (9): Hegel I: Leben und Lehre aus der Sicht eines kritischen Rationalisten

Der Meister des Wesens formuliert die Einheit von Sein und Nichts. Wie man sich von den Kontrol­linstanzen der Kritik befreit: zuerst von der Logik (ersetzt durch Dialektik), dann von Erfahrungsurtei­len (wirklich ist, was Hegel vernünftig findet). Wie Hegel Kant "überwindet". Hegels Systemtheorie. Hegels Geschichtsphilosophie. Die Zahl Drei als Fetisch. Hegels Wirkung.

Arbeitsmaterial: Hegelzitate. Kopien: Osborne und dtv. Poppers Aufsatz: "Was ist Dialektik?"

15.06.1993 (10): Hegel II: Poppers 'Offene Gesellschaft' und seine Hegelkritik

Hegels Historizismus (Geschichtsgesetze).  Hegels Rechtsphilosophie (Macht gleich Recht). Hegels Sozialphilosophie (Herrschaftsideologie zur Festigung des preußischen Machtstaates). Hegels Essentia­lismus (Wesensergründungen). Hegels reiner Rationalismus ('Verbesserungen an Kant'). Hegels dialektische Immunisierung.

Dazu Poppers Kritk an Hagel in "Offene Gesellschaft Bd.II" (UTB 5.Aufl.) S.36-102:

S. 49: Verdrehung der Ideen Kants. 52: Ausschaltung der Erfahrung. 54: Verdrehung der Ideen der französischen Revolution. 64: Hegels nationalistischer Machtstaatsgedanke. 80: Hegels Staat als In­karnation des Geistes. 87: Seine Verherrlichung des Krieges. 93: Heroenkult und 95: Verachtung des 'kleinen Mannes'.

Arbeitsmaterial: Zitate aus Poppers 'Offene Gesellschaft' II.

13.07.1993 (11): E r g e b n i s und Popper-Vortrag "Der Mythos vom gemeinsamen intellektuellen Standpunkt"

Was wir alles können: Wissen, warum es einen Fortschritt des Wissens gibt. Wie der Erkenntnisprozeß evolutionär abläuft. Wie man zwischen 'richtig' und 'falsch' entscheiden kann: in der Erkenntnis, in der Moral und in der Metaphysik. 'Immunisierungsstrategien', Verschwörungstheorien und irrelevante Argumente durchschauen. Warum zuerst der Gedanke, die Idee (Ratio) kommt und dann die Erfahrung. Phantasie als Ideenpool; Logik als Mittel der Auswahl und Kritik begreifen. Warum man, anders als die meisten heutigen Philosophen, Realist sein sollte. Wieso es eine Einheit aller Wissen­schaften gibt (Geistes-, Kultur-, Naturwissenschaften). Warum alles Wissen Vermutungswissen ist und wir trotzdem nicht unsicher sein müssen. Warum sowohl Dogmatismus (unkritisches Engagement) als auch Skeptizismus (Ohnemichelei, Nihilismus) falsch sind und wieso der kritische Rationalismus ein dritter Weg der Lebensorientierung ist. Umgang mit dunkler Orakel-Philosophie. Warum man Hegel und viele (post-)moderne Philosophen vergessen kann und soll (wg. Stil und intellektueller Unredlichkeit). Immunität gegen die Geisteskrankheit unserer Zeit, den Relativismus, der in den wichtigsten Fragen des Lebens die Entscheidungsfähigkeit zerstört.

Popper-Vortrag vom Tonband (50 Min) Arbeitsmaterial: Übersicht über die Ergebnisse Popper-Vortrag "Der Mythos vom gemeinsamen intellektuellen Standpunkt"

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