Der  CONCEPTUS Disput

 

über Populismus in der Philosophie

 

        und Nicholas Reschers angeblich "wissenschaftlichen Relativismus"

 

(1) Die Diskussion entzündete sich an einem Artikel von Hans-Joachim Niemann: Populismus in der Philosophie - Nicholas Reschers wissenschaftlicher Relativismus,  CONCEPTUS XXVIII, No. 73 (1995), p. 271-300:

Zusammenfassung: Die Wirkung philosophischer Werke lässt sich vergrößern, wenn man mit ein und derselben Schrift zwei Leserschaften zugleich befriedigt:  den großen Kreis philosophisch Interessierter und den kleinen Kreis der Fachkollegen. Die zu diesem Zweck von vielen Philosophen mit Erfolg verwendete duale Schreibweise wird aber allzu oft argumentativ nicht durchgehalten. Die fachliche Botschaft ist dann unbestreitbar, aber trivial; die Botschaft an die breite Leserschaft interessant, aber unbegründet; und die Argumente werden dabei so vorgebracht, dass der Eindruck entsteht, sie bezögen sich auf die gehaltvollere These. Als ein neueres von vielen Beispielen für diese verbreitete Variante des Populismus in der Philosophie wird ein Aufsatz von Nicholas Rescher diskutiert. Sein „wissenschaftlicher Relativismus“ ist nur in einer sehr trivialen Auslegung wissenschaftlich haltbar. Dagegen wäre die durch 55-fache Wiederholung nahegelegte zweite Lesart eine wissenschaftstheoretische Revolution und für alle Naturwissenschaftler eine böse Überraschung, wenn Rescher sie begründen könnte. Das  aber ist nicht der Fall.

 


(2) Lorenz B. Puntel (München) verteidigt Nicholas Rescher:  Wissenschaftlicher Relativismus und philosophischer Populismus - Zu einer Kritik H.-J. Niemanns an der Philosophie Nicholas Reschers,  CONCEPTUS XXIX (1996) No. 75 p. 251-277

Zusamenfassung: Es wird nachgewiesen, dass H.-J. Niemanns vehemente Kritik des von N. Rescher vertretenen wissenschaftlichen Relativismus aus methodischen und aus inhaltlichen Gründen völlig verfehlt ist. Erstens verwendet er den untauglichen Begriff des philosophischen Populismus und stützt sich ausschließlich auf einen kleinen Text Reschers. Zweitens mißversteht er Reschers Position grundsätzlich, indem er die Problemlage verkennt, mit der sich der wissenschaftliche Relativismus auseinandersetzt.


(3) Hans-Joachim Niemann:  Rescher im Kontext - Eine Antwort auf Lorenz B. Puntel , CONCEPTUS XXX (1997) No. 76, p. 67-98: 

Nach der Kritik, die mein Artikel "Populismus in der Philosophie"  erfuhr, belege ich nun (i), dass  Reschers Aufsatz keineswegs aus dem Kontext gerissen war. Eine erste Version wurde in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Danach erschien er in fünf verschiedenen Aufsatzsammlungen und als Vortrag. Acht Jahre lang hat Rescher ihn verbessert, um ihn dann in sein Opus Magnum aufzunehmen, so dass man ihn als unabhängig, wichtig und repräsentativ ansehen kann. (ii) Anders als mein Kritiker glaubt, war Rescher kein Objektivist im üblichen Wortsinn. Er selbst charakterisierte sich als "Anti-Realist". (iii) Reschers "wissenschaftlicher Relativismus" wird von meinem Kritiker so erläutert, dass die Kultur A  Interesse an kausalen Erklärungen hat, Kultur B nicht. Auch von daher gibt es keinen Grund, meine These zu widerrufen: Dieser Relativismus ist sowohl trivial als auch ohne jede Bedeutung.

Motto: "Die philosophische Hauptkrankheit unserer Zeit ist ein intellektueller und moralischer Relativismus (und der letztere beruht wenigstens zum Teil auf dem ersteren)." Karl Popper 1961

(4) Lorenz B. Puntel (München) antwortet darauf mit: Wissenschaftlicher Relativismus und absolute Wahrheit. Zu H.-J. Niemanns Verteidigung seiner Rescher-Kritik" (Scientific relativism and absolute truth. Concerning H.-J. Niemann's defence of his criticism of Rescher),  CONCEPTUS XXX (1997) No. 76 p. 99-130.

Zusammenfassung: Der Aufsatz will zeigen, daß H.-J.Niemanns Versuch, seine Kritik der These N. Reschers über den wissenschaftlichen Relativismus gegen die Gegenkritik des Verfassers zu verteidigen, scheitert. Indem Niemann die textlichen und systematischen Kontexte vollständig ignoriert(e), in die Rescher den kleinen Text, auf den sich Niemanns Kritik einzig und allein bezieht, explizit einbettet, hat er den Sinn der Rescherschen These entstellt. Ferner hat er seine Kritik, die er im zweiten Aufsatz wiederholt, im Rahmen eines völlig ungeklärten metawissenschaftlichen Begriffsapparats formuliert. Insbesondere stützt er sich auf einen nicht explizierten, vagen, alltagssprachlichen Korrespondenzbegriff der Wahrheit, auf einen inkohärenten Begriff der absoluten Wahrheit und auf einen nicht-intelligiblen Begriff der "Realität an sich".


(5) Thomas Bonk (Pittsburgh) erweitert die Kritik in: CONCEPTUS XXX (1997) No. 76, p. 131-140: Sympathy for the Devil. Zur neueren Kritik am Relativismus

Einige Kritiker verzichten auf detaillierte Argumente und greifen den Relativismus als modisches Dogma und moralisch korrumpierende Größe an, die unser Vertrauen in die Wissenschaften untergräbt und die "Grundlagen unserer Kultur" erschüttert. Ein Kritiker identifiziert jede "Abweichung" vom Falsifikationismus Poppers als leichtfertigen Relativismus; andere sehen in Poppers Ansichten eine Quelle des Relativismus in diesem Jahrhundert. Dieser vereinfachenden Sicht stelle ich im Rahmen meiner Notiz die Vielfalt und vergleichsweise Subtilität relativistischer Positionen gegenüber.


 

(6) Schließlich erscheint  nun auch im Dezember-Heft einer amerikanischen, mit Ideologien befassten Zeitschrift (eingereicht  Sept. 1996, gedruckt Dez. 1999):  Hans-Joachim Niemann, In Pursuit of Relativism. Nicholas Rescher's Method  of Double Writing, Quarterly Journal of Ideology 21 (3&4) Dec 1998, p. 63-95.

 

Zusammenfassung: Der relativistische Glaube, es könne keine Toleranz geben, wenn wir weiterhin darauf bestehen, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, ist eine einflussreiche Ideologie geworden. Von dort ausgehend besteht ein großes Interesse daran, die Objektivität der "westlichen" Wissenschaft als bloße Illusion zu entlarven. Die Idee, die dahinter steckt, hat Paul Feyerabend klar ausgedrückt: "Wenn nicht einmal die Naturwissenschaften mehr das Reich der Vernunft sind ..., wie sollten wir dann fordern können, dass die weicheren Wissenschaften wie Geschichte, Politik, Poetik oder Dramaturgie strengen Regeln unterworfen werden sollen?" Dieser Artikel kritisiert eine neue Version eines von Nicholas Rescher vertretenen "wissenschaftlichen Relativismus". Reschers kunstvolle Methode dessen, was ich double writing oder die duale Schreibweise nenne, lässt den wissenschaftlich ausgebildeten Leser eine harmlose, aber triviale und überflüssige Version lesen, während die weniger an die philosophische Rabulistik gewöhnten Leser glauben, Argumente zugunsten eines revolutionären wissenschaftlichen Relativismus gelesen zu haben, eines Relativismus, der den Zusammenbruch der Objektivität und damit ein großes Desaster in  den Wissenschaften bedeuten würde. 


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