ALMANACH

Zitate aus Niemann-Publikationen mit Quellenangabe

     1.      Kritischer Rationalismus und Vernunft Vernunft und Gefühle Vernunft und Fantasie

2.      Realismus und Wirklichkeit

3.      Philosophie: Argumentieren, Leitideen prüfen, Probleme lösen

4.      Philosophiekritik - Kritik der Begriffsphilosophie - Kritik an der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno

5.      Metaphysik

6.      Rationale Ethik und das Menschheitsprojekt MoralZukunftsethikMoral als ProblemlösungsstrategieEthik als WissenschaftMoralische Werte und Werte des Lebens  

7.      Das Durchsetzungsproblem

8.      Glück und die Sinnfrage

9.      Demokratie und Mehrheit

10.  Toleranz und RelativismusToleranz in der Politik und das Souveränitätsproblem Charta der UNO: Gewaltminimierung statt Souveränitätsprinzip Objektive Toleranz als institutionalisierter Gewaltverzicht

11.  Kausalität und Determinismus - Propensities und Serendipities

12.  Subjektivismus versus Objektivismus

13.  Physik/Naturwissenschaften

14.  Sicherheit und Gewissheit

15.  Gemeinsam das Wissen vergrößern

16.  Diverse Lebenssituationen


QUELLEN und Siglen:

Alle Satzanfänge sind groß geschrieben, auch wenn der Text im Original klein beginnt. Die Rechtschreibung wurde korrigiert.

Letzte Bearbeitung: 10.12.2008 

Ethik als Wissenschaft: Hans-Joachim Niemann, ›Wie objektiv kann Ethik sein?‹, Aufklärung und Kritik, Sonderheft 5/2001, S. 23-41.

Lernende Systeme: Hans-Joachim Niemann, Lernende Systeme (1998) www.opensociety.de/Web1/Kritischen Rationalismus/LERNSYST.htm

Lexikon: Hans-Joachim Niemann, Lexikon des Kritischen Rationalismus, Tübingen (Mohr Siebeck) 2004,  unveränderte Studienausgabe 2006.

Objektive Toleranz: Hans-Joachim Niemann, ›Über die Grenzen der Toleranz und 'objektive Toleranz' als Instrument der Gewaltminimierung‹, in Eric Hilgendorf (Hrsg.), Wissenschaft, Religion und RechtHans Albert zum 85. Geburtstag, Berlin (LOGOS) 2006, S. 313-338.

SdV-1993: Hans-Joachim Niemann, Die Strategie der Vernunft 1. Auflage, Braunschweig/Wiesbaden (Vieweg) 1993.

Strategie der Vernunft (2008):  Hans-Joachim Niemann, Die Strategie der Vernunft: Problemlösende Vernunft, rationale Metaphysik und Kritisch-Rationale Ethik, 2. verbesserte und erweiterte Aufl. Tübingen (Mohr Siebeck) 2008. Etliche  Zitate finden sich in anderer Formulierung  schon  in SdV-1993.

Was alle angeht: Hans-Joachim Niemann, ›Was alle angeht, können nur alle lösen – Über die weltweite Anwendung des Kritischen Rationalismus in Wiki-Projekten‹, in: Aufklärung und Kritik, Heft 1 (2006), S. 67-93.

Zwei neue Leitideen: Hans-Joachim Niemann, Propensity und Serendipity - Zwei Leitideen steuern den glücklichen Zufall, in: Aufklärung und Kritik, Heft 1 (2008), S. 7-32.


Kritischer Rationalismus und Vernunft           Zurück nach oben

»Kaum eine andere Philosophie, Religion oder Weltanschauung dürfte heute ein ähnlich umfangreiches Angebot von Methoden und Argumenten zur Verfügung stellen wie der Kritische Rationalismus.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Vorwort.

»Kritischer Rationalismus ist eine Philosophie, die von Problemen, nicht von Begriffen ausgeht.« - Niemann, H.J. Strategie der Vernunft (2008), S.164.  

»Der kritische Rationalismus hat sich vom Falsifikationismus über den Pankritizismus und den Theorienpluralismus schließlich zu der  allgemeinen ›Logik der Problemlösung‹ entwickelt.« (Ich folge da Brian Magee) - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 20.

»Die Suche nach der besseren Alternative [ist] dasselbe wie die Suche nach Wahrheit.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 107.

»Dass es erstrebenswert ist, Probleme immer so zu lösen, dass der ganze Problemkomplex entschärft wird und alle Betroffenen insgesamt eine Verbesserung ihrer Lage erfahren, fällt unter die Entscheidung für eine bestimmte Lebensweise: Man kann vernünftig leben wollen oder unvernünftig.«  - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 182.

»Eine Problemlage ist dann ›insgesamt verbessert‹ und hat eine progressive Problemverschiebung erfahren, wenn das Hauptproblem und die mit ihm verknüpften Nebenprobleme gelöst sind und die unvermeidlich neu entstandenen Probleme zusammengenommen weniger gravierend sind als der Komplex der alten Probleme.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 23.

»Wo der Wunsch da ist, Probleme zu lösen und sie nicht so zu lösen, dass andere dadurch in Schwierigkeiten geraten, ist es möglich, verschiedene Lösungswege auf ihre unterschiedliche Leistungsfähigkeit hin zu untersuchen.  Dies hat sich letztlich als der methodische Kern einer Rationalität erwiesen, die sich nicht länger auf den Bereich der Wissenschaft beschränken lässt... Mit der gleichen Objektivität, kann sie... in der Metaphysik wie auch in der Moral uns sagen, welchen Überzeugungen oder Handlungsweisen wir den Vorzug geben sollen.« - Niemann, H. J., SdV-1993, S. 176.

Wie man beim Argumentieren und Definieren den unendlichen Regress vermeidet: »Wenn wir argumentieren, definieren oder Aussagen und Theorien als objektive Erkenntnis anerkennen, können wir nie alle Sätze, alle Prüfergebnisse, alle Für- und Wider-Argumente, die dabei eine Rolle spielen, zugleich in Frage stellen... Zum Glück ist immer ein großer Teil unseres ›Hintergrundwissens‹ ›unproblematisch‹. Dieses zur Zeit unproblematische Hintergrundwissen dient als temporäre Basis jeder rationalen Begründung beziehungsweise jeder Falsifikationsentscheidung...« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Unproblematisch.

Vernunft und Gefühl (Leidenschaften)       Zurück nach oben

»Es sind die Gefühle und Leidenschaften, die uns die Pro­bleme  schaffen; wir haben die Vernunft, um aus den Schwierigkeiten, seien sie selbstgemacht oder nicht,  wieder herauszukommen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 115.

Vernunft und Fantasie   

»Die häufigste Ursache dafür, im Alltagsleben oder sogar in den Wissenschaften bei einer bestimmten Lösung stehen zu bleiben, ist der Mangel an Fantasie.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 108.

»Kritik ohne Fantasie ist kraftlos; Fantasie ohne Kritik gefährlich.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 108.

»Auch die tägliche kreative Arbeit der Wissenschaftler lebt davon, dass in dieser Phase der Ideenfindung zwischen spekulierender Fantasie und prüfbaren Einfällen kein Unterschied gemacht wird.« Daher »besteht die wissenschaftliche Arbeit zu einem wichtigen Teil darin, sich der Metaphysik zu widmen...« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 85.

» Es sind ja gerade die Wissenschaftler, die mit ihrer Fantasie auch die versponnensten, in Traumwelten lebenden Dichter noch übertreffen. Ist nicht die mythische Vorstellung von der Erde als einer großen Scheibe geradezu armselig und langweilig im Vergleich zu dem, was Wissenschaftler sich ausgedacht haben und was heute  nicht mehr als Spekulation abgetan werden kann?  Die Erde als eine große Kugel, an der ringsum Menschen hängen, eine Kugel, die dreißig mal schneller als eine Kanonenkugel durch den Weltraum schießt und sich dabei noch ein paar hundertmal um sich selber dreht, bevor sie einmal die Sonne umrundet hat, so dass jeder Mensch in jedem Augen­blick auf einem wahnwitzigen Schleuderkurs ist, wovon er, wie die Physiker ihm glaubhaft erklären, ohne Hilfsmittel nichts bemerken kann.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 77

Realismus und Wirklichkeit       Zurück nach oben

»›Realist‹ ist man als kritischer Rationalist vor allem deshalb, weil man seine Fantasieprodukte, ›Theorien‹ genannt, der Kontrolle einer von Menschen unabhängigen Instanz aussetzt.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 59.

»Der kritische Rationalist ist ein Konstruktivist, aber einer, der die erlebte Wirklichkeit für ein aktiv geschaffenes Konstrukt des Gehirns hält, und der glaubt, dass er Erkenntnisse nicht dadurch gewinnt, dass er die erfundene Wirklichkeit mit einer ›wirklichen Wirklichkeit‹ vergleicht, sondern dadurch, dass er jede Erfindung einem Ja-Nein-Frage-und-Antwort-Spiel aussetzt und dadurch von Erfindungen zu Entdeckungen kommt.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 61.

»Die ›wahre Wirklichkeit‹ kennt kein kritischer Rationalist. Das, was wir die ›Wirklichkeit‹ nennen,... ist ein fehlbares Konstrukt und müsste die Bezeichnung ›vermutete Wirklichkeit‹ tragen. Dennoch gibt es gute Gründe, dieses im Frage- und Antwortspiel gewonnene, relativ stabile Hirnkonstrukt ›Realität‹ oder ›Wirklichkeit‹ zu nennen und es als Annäherung an eine unerreichbare ›wirkliche Wirklichkeit‹ aufzufassen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 59.

Philosophie: Argumentieren, Leitideen prüfen, Probleme lösen      Zurück nach oben

»Argumentieren ist wichtiger als Addieren und Prozente berechnen... Wo aber gute Argumente fehlen, kommen die üblichen Denkfehler zum Zuge, weil es kein Gedankenvakuum gibt... Das Problem fehlender Argumente beginnt meist schon im Kindergarten, wenn wir den Mangel an guten Argumenten durch unangebrachte Verhaltensweisen oder Gewalt auszugleichen versuchen. Es verlässt uns das ganze Leben nicht, denn viele Argumente sind so schwierig, dass wir sie erst in reiferen Jahren begreifen können, und an manchen scheitern selbst ausgebildete Philosophen.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Argumente.

»Leitideen sind für selbstverständlich gehaltene, oft aus dem kritischen Bewusstsein verdrängte Vorurteile..., die in hohem Maße unser Denken und Handeln steuern. ... Leitideen haben mitunter Jahrhunderte lang guten oder schlechten Einfluss auf unser Denken. Sie sind außerordentlich stabil, weil sie uns nie richtig bewusst werden und wir sie deshalb nicht kritisieren können. Oder wir halten sie für so selbstverständlich wahr, dass wir sie als unbezweifelbares Hintergrundswissen von jeder Kritik ausnehmen.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Leitideen.

»Nur Menschen, die sich mit Leidenschaft und Be­geisterung für die Lösung eines Problems einsetzen und sich eine ausdauernde Liebe zur Sache erhalten, werden auch die Fantasie entwickeln, möglichst alle relevanten Prämissen einer Problemlösung aufzuspüren, die Vernetzung mit anderen Problemkomplexen aufzudecken, nicht auf der Hand liegende Konse­quenzen von Theorien und Handlungsweisen ausfindig zu machen und schließ­lich auf unerwartete, neue Alternativen stoßen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 116.

Philosophiekritik       Zurück nach oben

»Ein falscher Griff, und das, was sich als Philosophie in den Köpfen von Politikern, Managern, Lehrern und Journalisten wiederfindet, wird zur öffentlichen Gefahr. Auch wenn die Philosophie keine Bilanzen vorlegt, ist sie ein Unternehmen, das mitunter Summen in Höhe ganzer Staatshaushalte verspielt.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Vorwort.

»Zum Glück für die Philosophie stehen in ihrer unsichtbaren Bilanz auch ›Gewinne‹... wenn Leibniz' Erben heute Tantiemen für jedes verwendete Integral einfordern dürften, hätten sie Bill Gates längst in den Schatten gestellt. Stattdessen fließt der Gewinn uns allen zu.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Vorwort.

»Philosophie wird allzu häufig als Kunst betrieben, schwerverständliche Sätze zu bilden, deren Problemlosigkeit nicht ohne Weiteres zu erkennen ist.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 103.

»Leider gibt es für jeden Unsinn immer einen sinnvollen Kontext, der beliebig viele [wissenschaftliche] Abhandlungen rechtfertigt: seine Wirkungsgeschichte.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 79

»Niemals ist ein formales Mittel gefunden worden, das gestattet, Philosophie als leeres Gerede, als Sophisterei, scholastischen Wortstreit, Rabulistik, wirklichkeitsfremde Esoterik zu verwerfen. Wenn man nachdenken zulässt, könnte sich überall auch ein bedenkenswertes Problem verbergen oder eine neue Methode, der Wahrheit näherzukommen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 83.

»Was man tun kann, um möglichst viel philosophische Spreu vom Weizen zu trennen, ist, von der Frage nicht abzulassen, ob ein interessantes Problem aufgeworfen und versuchsweise gelöst wurde.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 83.

»…Die philosophische Metaphysik, die voll darauf vertraut, dass die meisten Menschen für ›tief‹ halten, was bloß unverständlich ist, und für ›wahr‹ nehmen, was bloß unwiderlegbar ist oder nicht im Widerspruch zu den Wissenschaften steht.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 74.

»Wenn... Metaphysik ihre Unwiderlegbarkeit oder ihre ›Verträglichkeit mit der Wissenschaft‹ in besonderer Weise betont, dann spekuliert sie wahrscheinlich darauf, dass Unwiderlegbarkeit mit Wahrheit verwechselt wird.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 106.

Kritik der Begriffsphilosophie      Zurück nach oben

»Als Kinder haben wir anfangs alle gelernt, zuerst Wörter zu gebrauchen, deren Bedeutung wir erst später verstanden haben. Wir plappern nach... Sprachkompetenz kommt lange vor Sachkompetenz... …Viele Philosophen in der Nachfolge Ludwig Wittgensteins erheben den Fehler zum Prinzip und glauben,  dass die Bedeutung der Wörter nichts anderes als ihr Gebrauch sei.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Bedeutung von Wörtern.

»Eine besondere Eigenschaft des Sprachapparates im Gehirn kommt den Begriffsmetaphysikern zu Hilfe. Dieser Apparat ist in der Lage, Begriffe zu sinnvoll klingenden Sätzen zu kombinieren, ohne dass dabei irgendein konkreter Sachverhalt beschrieben wird.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 78.

»Die Forderung, alles zu definieren, ist meist mit der Forderung nach großer Genauigkeit beim Definieren verbunden (›Was genau wollen Sie mit 'Menschenwürde' sagen?‹). Ganz anders verfahren die tatsächlichen Wissenschaften, die von Begriffen nie größere Genauigkeit verlangen, als die Sache sie erfordert.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Definitionen

»Eine rationale Philosophie sieht es als ihre Aufgabe an, daran mitzuarbeiten, ethische, politische und juristische Entscheidungsprozesse durchsichtig zu machen, indem sie diese von vagen Begriffen und falschen Leitideen befreit und immer wieder auf die eigentlichen sozialen Probleme zurückkommt, die gelöst werden sollen.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 24.

»Hegels größter Fehler... ist seine Einstellung zu Widersprüchen. Widersprüche sind bei Hegel das Vehikel der Dialektik. Sie sind erwünscht und fruchtbar… Wer aber den Erkenntnisfortschritt verstehen und verbessern will, muss die Rolle der Widersprüche viel genauer untersuchen: siehe Falsifikation, Verifikation, Problemlösungsschema, Anerkennungsverfahren.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Dialektik.

Kritik an der Dialektik der Aufklärung  von Horkheimer und Adorno

Für dt. Wikipedia, Kapitel „Kritik“, wurde folgendes Zitat eingefügt. Falls verändert oder fehlend: siehe Einfügung am 4.Feb. 2008:

„An Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung ist auch schwerwiegende Kritik geübt worden:

»Das 1947 veröffentlichte Buch versucht, das Entsetzen über Auschwitz und die anderen Vernichtungslager in einer leichtfertig-assoziativen Verfahrensweise zu einer Abrechnung mit Aufklärung, Wissenschaft und Realismus zu nutzen. …  In den faschistischen Verbrechen sehen Adorno und Horkheimer nicht eine radikale Abwendung von den Zielen der Aufklärung, sondern deren letzte Konsequenz.

Kants Morallehre, nicht Gefühlen zu folgen, sondern aus Pflicht zu handeln, wird als "der übliche Versuch des bürgerlichen Denkens" abgetan, die hinter zivilisierter gegenseitiger Rücksichtnahme steckenden materiellen Interessen philosophisch zu übertünchen. ...

Kants Aufklärung als "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" wird umgemünzt in eine Aufforderung, die Natur und seine Mitmenschen zu beherrschen: "Unmündigkeit erweist sich als das Unvermögen, sich selbst zu erhalten.  Der Bürger in den sukzessiven Gestalten des Sklavenhalters, freien Unternehmers, Administrators ist das logi­sche Subjekt der Aufklärung." (S. 76) 

Kants Aufforderung, sich von Autori­täten zu befreien und sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, wird mit den Worten verhöhnt: "Das Werk des Marquis de Sade zeigt den ›Verstand ohne Leitung eines anderen‹"(S. 79).

Das Ziel der Schrift ist keineswegs die Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen, sondern der Nachweis, dass Vernunft, Wissenschaft und Aufklärung nur Herrschaft über Sachen und Menschen bedeuten können und Aufklärung im Faschismus enden müsse: "Das Wesen der Aufklärung ist die Alternative, deren Unausweichlichkeit die der Herrschaft ist. " (S. 32).« - Niemann, H. J., Die Strategie der Vernunft, Braunschweig/Wiesbaden (Vieweg) 1993, S. 110 - 111.  Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf die Dialektik der Aufklärung.

»Die Breitenwirkung (der Dialektik der Aufklärung) dürfte sich auch daraus erklären, dass  Bücher und Feuilletonarti­kel, die Rationalität in zweideutiger und unzweideutiger Weise verächtlich machen, sehr populistisch sind: Wo fehlende Vernunft als Mangel erlebt wird, hört man gern, dass sie gar nicht so erstrebenswert sei.  Wo man ahnt, dass die Vernunft uns die Verantwortlichkeit für die Lösung unserer Probleme aufbürdet, möchte man gerne von ihr erlöst werden.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 111.

Metaphysik      Zurück nach oben

»Die Rehabilitierung der Metaphysik durch Karl  Popper in den 1950er  Jahren … ist  außerhalb des Kritischen Rationalismus bis heute kaum zur Kenntnis genommen worden. Dafür gibt es einleuchtende Gründe: Eine Philosophie, die zwischen 'richtig' und 'falsch' auch in einem Gebiet der Erkenntnis zu unterscheiden lehrt, wo man bisher beliebig spekulieren durfte, wird nicht viele Freunde gewinnen. …« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 6.

»Der kritische Rationalismus [ist] nicht metaphysikfeindlich.  Er sieht in der Metaphysik nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Notwen­digkeit, das wissenschaftliche Denken zu ergänzen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 73

»Es wäre falsch, metaphysische Spekulationen von vornherein als Unsinn abzutun. Alle wissenschaftlichen Theorien waren am Anfang Fantasieprodukte.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 77.

»Heute längst... erklärte Stoffeigenschaften wie ›Härte‹, ›Undurchdring­lichkeit‹ und ›Elastizität‹ wurden noch von Schopenhauer als Beispiele für my­steriöse, metaphysische Begriffe angeführt… Wer Metaphysik verwirft, wird das jedenfalls nicht von einem rein wissenschaftlichen Standpunkt aus tun können.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 85.

»Metaphysische Theorien [sind] nicht bedauerliche Abweichungen vom wissenschaftlichen Denken, sondern notwendige und rational diskutierbare Ergänzungen unseres Wissens.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 99

»Es gibt gute und schlechte Metaphy­sik, und man kann rational und objektiv entscheiden, welche Metaphysik akzeptabel ist und welche nicht.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 73.

»Die universelle Prüfmethode des kritischen Rationalismus, auf die Metaphysik angewandt, lautet verkürzt: Wenn eine metaphysische Theorie an der Erfahrung nicht scheitern kann, also in dieser Hinsicht unwiderlegbar ist, so kann sie doch daran scheitern, dass sie das Problem, das sie zu bewältigen vor­gibt, nicht löst oder schlechter löst als eine mit ihr konkurrierende Theorie.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 87.

»Der Fatalismus ist eine metaphysische Theorie, die das Problem der Verantwortung zu lösen versucht und die empirisch unprüfbar ist. Was empirisch unprüfbar ist, kann dennoch kritisiert werden, und es kann geprüft werden anhand der Überlegung, ob das vorliegende Problem gelöst wird oder nicht.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 89.

»Als ›irrational‹ soll ausgegrenzt werden, was sich systematisch der Kritik und der Suche nach der besseren Alternative zu entziehen sucht.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 102. 

»Irrational ist jede Metaphysik, die von vornherein die Suche nach Alternativen diskreditiert, sie als Glaubensschwäche oder kränkelnde Intellektualität diffamiert oder die umgekehrt das Festhalten an den gemeinsamen Überzeugun­gen als Charakterstärke, Linientreue, Solidarität oder Glaubenskraft auszeichnet.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 108.

Rationale Ethik und das Menschheitsprojekt ›Moral‹      Zurück nach oben

»Moral sagt nicht, wie wir leben sollen. Sie hat in dem Sinn kein konkretes Ziel, sondern nur das Ziel, das Zusammenleben der Menschen zu verbessern.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 140.

»Moral ist... eine Verlegenheitslösung für Menschen, die die Folgen ihrer Handlungen nicht überblicken können...« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 121.

»Man könnte Moral... mit guten Gründen auch als eine Institution definieren, deren Aufgabe es ist, Emotionen zu überwinden, die der Durchsetzung vernünftiger Beschlüsse entgegenstehen, Emotionen oder seelische Zustände wie Faulheit, Egoismus, Gruppenegoismus (bzgl. Familie, Nation), Bosheit, Grausamkeit usw.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt IV-1.

»Weil es dem Menschen nicht leicht fällt, seinen Egoismus zu überwinden, er andererseits aber durchaus bereit ist, unparteiisch die Probleme aller von einem neutralen Standpunkt aus zu lösen, entsteht das moralische Problem, wie man das Selbstinteresse überwinden kann. … Bei diesem Wortgebrauch (von ›gut‹) geht es also um die Bewältigung des Durchsetzungsproblems.« -  Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 165.

»Mit den fest in unserer Gefühlswelt verankerten Regeln, Werten, Traditionen und Einstellungen setzt sie (die Moral) uns in die Lage, gegen unser Selbstinteresse zu handeln.« - Niemann, H.J., Strategie der Vernunft (2008), S.122.

»Wer in der Moral auf Egoismus baut, der baut auf festem Grund. Und an diesen Satz sollte man sich auch, was das Ver­hältnis von  Ökologie zu Ökonomie betrifft, halten. Man muss Rahmen­gesetze schaffen, die uns aus Selbstinteresse das Richtige tun lassen.« Niemann, H. J., Opposition gegen Technik und Industrie heute - Gedanken wider den Pessimismus, Vortrag bei der Thomas-Dehler-Gesellschaft in Nürnberg, 19. September 1992, Abschn. 4.2.

»Moral [versucht], einem... schwerwiegenden Mangel der menschlichen Natur zu begegnen, nämlich dem, dass unsere Gefühlswelt uns hindert, bei jeder Problemlösung nicht nur die eigenen, sondern die Interessen aller Betroffenen zu berücksichtigen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 122.

»Denn das schwierigste Problem der Moral besteht nicht darin zu entdecken, was wir predigen  sollen, sondern woher wir die emotive Kraft nehmen, das auch zu tun, was wir tun sollen. (so schon Schopenhauer)« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 7. 

»Eine Moral, die vom Selbstinteresse absieht, hat ihr wesentliches Problem ausgeklammert.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 151.

»Nach rationaler Auffassung ist Moral nicht eine autonome Macht, die Forderungen an uns stellt, sondern eine Methode zur Lösung spezifischer Probleme.« - Niemann, H.J., Strategie der Vernunft (2008), S.145.

Zukunftsethik      Zurück nach oben

»In der Ethik der Zukunftsverantwortung... wissen wir, was wir tun müssten, aber es ist unwahrscheinlich, dass wir es ohne Zwang, allein aus innerem Antrieb, tun werden.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 8.

»Da Moral, wie alles Menschenwerk, Fehler enthält, können nur die, die sich nicht streng an die Regeln halten, Alternativen finden und vermeintliche Problemlösungen als falsch oder irre­levant entdecken. Auf diese Weise hat sich z. B. die Sexualmoral verändert, so dass vieles, was früher unerlaubte Abweichung war, heute als  unproblematisches Verhalten erlaubter Normalfall ist.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 196.

»Religiöse und moralische Werte sind vielen Menschen verlorengegangen, bevor die  Zeit dafür reif war. ... Die meisten Menschen aber, die in komplexen Problemlagen überfordert sind und nicht gelernt haben, unparteiische Lösungen gegen ihr Selbstinteresse durchzusetzen, hätten weiterhin die alte, auf Religion gestützte Moral nötig.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 188. 

»Es werden  technische und finanztechnische Methoden entwickelt, die es der heutigen Generation in die Hand geben, auf Kosten der zukünftigen zu leben.« - Niemann, H. J., SdV-1993, S.153, siehe auch  Strategie der Vernunft (2008),S.185.

»Die Feuerversicherung enthebt  jeden Betei­ligten im Voraus der Qual der Entscheidung, ob er im Fall des nachbarlichen Unglücks die versprochene Hilfe leisten soll oder nicht.  Er trifft die Ent­scheidung zu einer Zeit, da sie als Risikoversicherung noch in seinem Selbstin­teresse liegt.  Das ist ein Beispiel dafür, wie man Altruismus auf die sicherste emotive Basis gründen kann, die für moralische Verankerungen überhaupt in Frage kommt: auf den Egoismus.« - Niemann, H. J., SdV-1993, S.155, siehe auch Strategie der Vernunft (2008),S.188.

Eine Formulierung aus dem Jahr 1993, die heute (2008) fast täglich durch Pressemeldungen bestätigt wird: Es »sind aus Politik und Wirtschaft genügend viele Fälle bekannt,  die verraten, dass unbeobachtete Bereicherung auf Kosten des Betriebes, in dem man arbeitet, oder des Gemeinwesens, das man verwaltet, nicht selten sind.« - Niemann, H. J., SdV-1993, S.156, siehe auch Strategie der Vernunft (2008), S.189.

»Der Minister, der,  zehnmal mehr verdienend  als die Verkäuferin, sich nicht enthalten kann, den Staat…um Steuern zu be­trügen, mag zeigen können, dass er auch bei weit größeren Entwendungen  dem Staat immer noch mehr nützt als schadet:  er zeigt aber auch, wie schwach seine moralische Fähigkeit entwickelt ist, auf relativ kleine Vorteile verzichten zu können.« - Niemann, H. J., SdV-1993, S. 156, siehe auch Strategie der Vernunft (2008), S.189.

»Es ist durchaus möglich, dass nachfolgende Generationen  eines Tages verständnislos und entsetzt auf unsere Zeit zurückblicken werden, weil wir den Wert des Menschenlebens so gering einschätzten, dass wir ohne Bedenken einige tausend Menschenleben  mit den Vorteilen der schnellen Fortbewegung auf den Straßen verrechneten. Aber es ist auch möglich, dass umgekehrt die zunehmende Bevölkerungsdichte den Wert des Menschenlebens weiter herabsetzt, so dass weitaus schändlichere Kalkulationen zulassen werden.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 201 - 202.

Moral als Problemlösungsstrategie      Zurück nach oben

»Moralische Werte, Gefühle und Regeln lassen sich, als Problemlösungsstrategien aufgefasst, empirisch daraufhin prüfen, ob sie das gesellschaftliche Leben tatsächlich verbessern.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 8.

»Die Deutung moralischer Prinzipien, Gesetze, Werte, Gefühle und Einstellungen als Problemlösungsstrategien öffnet... den gesamten moralischen Bereich einer rationalen Diskussion: Wo ein Ziel erkennbar ist, kann man auch prüfen, ob es erreicht wird.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 176.

»Moralische Maximen, Gefühle, Werte und innere Einstellungen sind als strategische Antworten auf Problemsituationen zu verstehen, die man nicht voll durchschaut oder die zu durchschauen und adäquat zu beantworten man weder die Zeit noch die Mittel hat.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 141.

»Viele Formen des Widerstandes gegen Modernität lassen sich als triviale Pro­blemlösungen verstehen, bei denen neue Problemsituationen einfach unterdrückt oder sonstwie vermieden werden, um mit den alten Strategien der Wirklichkeitsbewältigung weiterhin Erfolg zu haben.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 148.

»Brauchbare moralische Regeln kann man als Erfindungen betrachten, die in einer Welt, in der man aus technischen Gründen nicht ständig ad hoc rational handeln kann, für alle auf möglichst lange Sicht  von Vorteil sind.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 144.

»Die Erfindung moralischer Maximen und Prinzipien…kann genauso wertvoll sein wie die Aufstellung neuer Theorien in der Wissenschaft.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 163 (kursiv nur hier).

»Das Ziel philosophischer Ethik sollte nicht sein, Moral mit Sätzen zu begründen, sondern Sätze zu erfinden, die möglichst umfassend ein Kriterium für die Richtigkeit aller Handlungen bieten, die mit ihnen konform sind.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 190-191.

»Moralische Grundsätze wie der kategorische Imperativ oder ähnliche Kurzformeln rechtfertigen nicht Handlungen, sondern werden selbst durch all die Handlungen gerechtfertigt, für die sie tatsächlich ein brauchbares Kriterium darstellen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 197.

»Es zeigt sich, dass » die empfohlenen Handlungen nicht deshalb richtig sind, weil sie aus gültigen  Regeln folgen, sondern dass die Regeln gültig sind, weil sie bisher die bewährte Richtschnur für viele richtige Handlungen waren.… Das ist die ethi­sche Parallele zu der bekannten kopernikanischen Wende des Kritischen Rationa­lismus in der Wissenschaftstheorie.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 6-7.

»So leben wir immer mit einer alten, teilweise überholten Moral, die wir nicht aufgeben können, weil sie fest in unser Gefühlsleben integriert ist...« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 122.

»Aufklärung über die Methoden der Moral... trägt paradoxerweise dazu bei, einige Grundpfeiler der Moral zu zerstören.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 157.

»Aber zur Lösung politischer und moralischer Konflikte oder Dilemmata ist sie (die problemlösende Vernunft) genau so wichtig. Das kritisch-rationale Vernunftkriterium setzt uns in die Lage, auch in moralischen Fragen zwischen besseren und schlechteren Antworten objektiv unterscheiden zu können.«  - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 6.

»In den ›rationalen Rahmen‹ gestellt, werden moralische Gebote, Grundsätze, Maximen, Werte, Gefühle und Einstellungen zu hypothetischen Theorien; Theorien, die eine falsifizierbare Aussage über die Zukunft machen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 145.

»Der kritisch-rationale Imperativ: ›Finde heraus, worin genau dein Problem besteht, und suche nach der bestmöglichen Lösung!‹ stellt... eine allgemeine Richtschnur dar, an der alle anderen moralischen Regeln und Werte...sich als richtig oder falsch erweisen.  Er liefert den obersten Wert aller vernünftig Handelnden« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 177-178.

»Dass rationale Ethik  gelegentlich mit unlösbaren Problemen dort zu tun hat, wo Begründungsethiker die Lösung zu kennen glauben, muss kein Makel sein: Nur eine solche Ethik ist fortschrittsfähig, die nicht schon im Voraus mit jedem Problem fertig ist.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 137.

»Von ›gegebenen‹ Werten und Gefühlen auszugehen, bedeutet nicht, irgendwelche unerschütterbaren Fundamente entdeckt zu haben, sondern bloß anzunehmen, dass sie nicht zur Debatte stehen, dass sie zur Zeit kein Problem darstellen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 26.

»Es müssen also keineswegs ›gute‹ Motive sein, die ›gute‹ Handlungen bewirken... Die schlechten Mittel entwerten nicht den Zweck, außer sie werfen selber viele neue Probleme auf.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 152.

»Egoistische Motive können durchaus für nichtegoistische Zwecke herangezogen werden... der, der auf himmlischen Lohn schaut und Höllenstrafen vermeiden möchte, wird vielleicht genau das tun, was das Zusammenleben der Menschen verbessert.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 156.

»Es gibt also keinen Grund zu glauben, egoistische Ziele vertrügen sich nicht mit altruistischen Ergebnissen, weil der Vorteil des Egoisten immer irgendwie der Nachteil der übrigen Beteiligten sein müsse. Individuelle Belohnungen, die anderen nichts wegnehmen, kann es in unbegrenzter Zahl geben.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 157.

»Gerechtigkeit ist... eine Bezeichnung für akzeptable Problemlösungen, bei denen es um die Verteilung von Vorteilen und Lasten geht.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 167 (kursiv nur hier).

»[Wie die] Anteile von Glück und Unglück auf die Mitglieder der Gesellschaft verteilt werden, bleibt sowohl beim Utilitarismus [mit dem Ziel der Glücksmaximierung] wie auch beim Neg-Utilitarismus [mit dem Ziel der Leidverminderung] offen.  Eine rationale Ethik sieht in den unterschiedlichen Verteilungsmöglichkeiten Alternativen, deren Vor- und Nachteile als Teil des Gesamtproblems diskutiert werden müssen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 209.

Ethik als Wissenschaft       Zurück nach oben

»Es gibt... zwei Wissenschaften, die erklärende und die instrumentalistische, und diese Unterscheidung ist kein Streit um den rechten Sinn des Wortes ›Wissenschaft‹, sondern berücksichtigt die tatsächliche Praxis, in der diese zwei Typen von Wissenschaft vorkommen. Ethik wird, da es kein »Reich der Werte« zu erkennen gibt, im Ganzen, keine erklärende, sondern nur eine instrumentalistische Wissenschaft sein können. « Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt II-1.

 »Wie die Naturgesetze sind ›Moralgesetze‹ von Menschen gemachte Erfindungen; ihre Funktionstüchtigkeit kann empirisch überprüft werden.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt II-1.

»Was erkannt und meiner Ansicht nach auch mit wissenschaftlichen Mitteln überprüft werden kann, ist, ob moralische Werte (moralische Institutionen) als Instrumente die Arbeit tun und gut tun, für die sie vorgesehen sind.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt II-1.

»Ethik kann... eine Wissenschaft sein, wenn moralische Institutionen als Instrumente verstanden werden können, die einem bestimmten Zweck dienen,  so dass man deren Adäquatheit und den Grad ihrer Brauchbarkeit mit wissenschaftlichem Anspruch bewerten kann.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt IV-2.

»Auch in den Naturwissenschaften werden Theorien und experimentelle Ergebnisse im Hinblick auf ein vorgegebenes Ziel  bewertet. Das Ziel der Wissenschaft ist die Wahrheit, das heißt die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit;« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt II-2.3.  Das Ziel der Moral ist ein »möglichst problemloses gesellschaftliches Zusammenleben«« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt II-3.

»Wichtig ist die Einsicht, dass in komplexen moralischen Fragen die besseren Lösungen nicht von weltanschaulichen oder religiösen Gruppierungen zu erwarten sind, sondern nur von objektiv arbeitenden Wissenschaftlern.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt VI.

»Schwierige ethische Probleme sollten nicht so gelöst werden, dass jede Gruppe ihren politischen Einfluss geltend macht, sondern so, dass sich alle an der Suche nach objektiv nachvollziehbaren Lösungen beteiligen.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt V.

»Nur so sind Fehlentscheidungen erkennbar: nur wenn wir uns nicht auf unser Gewissen berufen, sondern auf Wissen; auf das objektive Wissen, das eine andere moralische Theorie oder eine andere moralische Handlung harmlosere Folgen haben würde. Nur so können wir auch auf moralischem Gebiet dazulernen, das heißt moralische Fortschritte machen.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt V.

»Ein Gebot wie "Du sollst nicht töten!" bedeutet rational gesehen: Die Problemsituation aller Betroffenen wird sich vermutlich ver­bessern, wenn sie das Gebot "Du sollst nicht töten!" einhalten.  Jedes normative Gesetz … ist also mit einer nachprüfbaren, hypothetischen Theorie verknüpft, wenn man sie in einen ›rationalen Rahmen‹ einfügt: Die Problemsituation aller Betroffenen wird sich verbessern, wenn die moralische Institution ›XYZ‹ durchgesetzt wird.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 145.

»In den rationalen Rahmen gestellt, werden moralische Gebote, Grundsätze, Maximen, Werte, Gefühle und Einstellungen zu hypothetischen Theorien; Theorien, die eine falsifizierbare Aussage über die Zukunft machen.  Insofern gleichen sich moralische und naturwissenschaftliche Theorien: sie sind beide der Versuch, nachprüfbare Erfahrung vorwegzunehmen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 145.

»Über längere Zeit hinweg lässt sich jedoch objektiv feststellen, ob moralische Regeln das Problem lösen, für das sie aufgestellt wurden, oder ob sie wenigstens die Problemlage mehr verbessern als andere Regeln, die in früheren Zeiten oder an anderen Orten verwendet wurden.  Insofern ist  die neue, rationale Ethik eine Wissenschaft. Sie stellt hypothetische, falsifizierbare Theo­rien auf, in denen sie behauptet, dass bestimmte Verhaltensregeln bestimmte soziale Probleme lösen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 146.

Moralische Werte und Werte des Lebens      Zurück nach oben

»Moralische Werte sind relative Werte.  Das heißt, ob sie ihre Funktion erfüllen und ob sie deshalb geschätzt werden, hängt von der jeweiligen Problemsituation ab, in der sie mehr oder weniger gut geeignet sind, bestimmte gesellschaftliche Probleme zu lösen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 180.

»Aus rationaler Sicht kann es eine solche ewige und für alle Menschen gültige Moral nicht geben.  Wenn Moral Problemlösung ist, dann muss sie stark von der Problemsituation abhängen. Unterschiedliche Kulturen werden dann soweit unterschiedliche Moral haben, wie ihre Probleme verschieden sind.  Dasselbe gilt für unterschiedliche Zeiten.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 159.

Werte des Lebens, die die bessere ethische Problemlösung ablehnen oder die man separat diskutieren muss: »Z.B. sind wir bereit, für das schnelle Vorwärtskommen in unserem Straßenlabyrinth  jährlich Tausen­de uns unbekannt bleibender Menschen zu opfern. Dennoch: Das Angebot eines Minotaurus, der für das Erreichen des gleichen Zieles vielleicht nur, wie im Mythos,  sieben von uns selbst ausgewählte junge Mädchen und sieben junge Männer verlangte, würden wir ohne Zögern ausschlagen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 172.

»Soweit es... solche für alle Menschen gleichen Problemlagen gibt, gibt es auch universelle Problemlösungsstrategien, also universelle Werte.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 185.

»Objektive Werte: intersubjektiv nachprüfbare Problemlösungsstrategien; relative Werte: nur in Bezug auf bestimmte Problemsituationen gültige Werte; universelle Werte: bei gleichen Problemsituationen ergeben sich als Problemlösungen die gleichen Werte.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt II-2.1; kursiv nur hier.

»Die üblichen Mittel der nichtverbalen Verständigung sind Aufrufe, Demonstrationen, Sit-ins, Hungerstreiks und im Extremfall Gewaltanwendungen. Alles das sind sehr unvollkommene, aber schwer ersetzbare Rituale, wenn es darum geht, inkommensurable Werte vergleichbar zu machen, nachdem die verbale Verständigung versagt hat.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 207.

»Aus rationaler Sicht darf es bei der nichtargumentativen, politischen Auseinandersetzung  immer nur um nicht-moralische Werte gehen, um Neigungen und Abneigungen, die bei dem jeweiligen Problemlösungsverfahren unabdingbare Bezugsgrößen darstellen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 207.

»Moralische Werte sind immer Problemlösungsstrategien, deren Effizienz man argumentativ bzw.  sogar empirisch überprüfen kann.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 207.

»Nur, wenn ein Teil derartiger Werte, die im Zusammenhang mit einem moralischen Problem eine Rolle spielen,  unproblematisch ist..., sind in der Ethik objektive Entscheidungen möglich. Das ist in den Naturwissenschaften nicht anders, wo man nur dann Einscheidungen fällen kann, wenn wenigstens ein Teil des Gesamtsystems unproblematisch ist.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt III-3.

»Die nicht-moralischen Werte müssen bei einer Prüfung nicht in Frage gestellt werden, sondern dienen der   ›Berechnung‹ der moralischen Problemlösung.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt III-3.

Das Durchsetzungsproblem      Zurück nach oben

»In jedem Fall tun wir gut daran, zwischen der Frage ›was sollen wir tun?‹ und der Frage ›wie können wir tun, was wir tun sollen?‹ sorgfältig zu unterscheiden.« - Niemann, H.J., Strategie der Vernunft (2008), S.150.

»Das Problem der Moral besteht also nicht so sehr darin, nicht zu wissen, was wir tun und was wir lassen sollen;  ihr Hauptproblem ist, uns dahin zu bringen, dass wir, auch unbeobachtet, das tun wollen, was wir tun sollen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 122.

»Die beiden [schopenhauerschen] Grundprobleme  der Moral, das ›Prinzip‹ zu finden und das emotionale ›Fundament‹, um dieses Prinzip  durchzusetzen, müssen also sorgsam unterschieden und ihre gegenseitige Beeinflussung im Auge behalten werden.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt IV-1.

»Um die Verankerung [ihrer Forderungen] so fest wie nur möglich zu machen, ­ve­r­irrt sich Moral sogar dahin, dass sie das Mittel zum Zweck erhebt und ihre Grundsätze und gefühlsmäßigen Antriebe quasi heilig spricht…Das Befolgen der Grundsätze kann nun wichtiger werden als das, was mit der Befolgung dieser Grundsätze erreicht werden sollte.  Ohne diesen Aspekt der angeblichen Unbedingtheit  kann man die praktizierte Moral kaum verstehen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 147.

»Daher  besteht das dritte und wichtigste Problem der Moral [das Durchsetzungsproblem] darin, beizeiten dort einen emotionalen Antrieb zu installieren, wo die Handlung ihren Ursprung hat: im Kopf des Einzelnen. Dort muss sie sich in die intellektuellen Überlegungen einmischen und in die Gefühle, die den Willen formen, der zur Handlung führt.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 147.

»Da es so schwer ist, jemand dazu zu bewegen, moralische Motive zu beherzigen, pflegt man die gute Absicht übermäßig zu loben; selbst dann noch, wenn sie üble Folgen hat.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 160.

»Einerseits ist es schwer, neue Moral fest zu verankern, andererseits ist es ebenso schwer, alte, gut verankerte Moral, die obsolet geworden ist, zu beseitigen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 159.

»Letzte moralische Instanzen wie das persönliche Gewissen, die ewige Moral, das ewige Recht, das Wort Gottes oder auch nur der angeblich kategorische Charakter der Kantschen Imperative sind von einem kritischen Standpunkt aus, der Unkritisierbarkeit als erhebliches Manko ansieht,  nicht vertretbar. In einer kritisch-rationalen Ethik sind diese letzten Instanzen illusionäre Mittel im Dienste der besseren Durchsetzung moralischer Regeln, die mitunter auch das Richtige befehlen, aber nicht immer.« Niemann, H. J., Ethik als Wissenschaft, S. 23-41, Abschnitt IV-4.

»Dass es ein Wert an sich sein soll, seinem Gewissen zu fol­gen, ist ein so absurdes Zugeständnis an die subjektive Sicht der Dinge, dass man dies nur mit der Verlegenheit der Moral, psychische Antriebe für ihre Forderungen zu mobilisieren, erklären kann.  Moral verzichtet auf volle Rationalität, um das Problem der Durchsetzung ihrer Regeln zu lösen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 160-161.

Zum Problem der Zielkonflikte zwischen alter und neuer Moral, zwischen Prinzipien und ihrer Durchsetzung, zwischen vollständiger Rationalität und abgekürzten Maximen: »Unaufhebbare Zielkonflikte kennt man auch in anderen komplexen Systemen, z. B.  in der Wirtschaft, und sie hindern uns nicht daran, auf rationalem Wege nach und nach die Praxis zu verbessern.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 161.

Glück und die Sinnfrage      Zurück nach oben

»Das von der Wirklichkeit getrennte Gehirn in einer Nährlösung, die ihm hundert Jahre Glück und dann einen sanften Übergang ins Nichts vermittelt, wird kaum jemand attraktiv finden, der nicht vollkommen von allen Lebensmöglichkeiten enttäuscht ist.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 170.

»Aus kritisch-rationaler Sicht wäre die sinnvollste Verknüpfung von Handlungen und Gefühlen: dann glücklich zu sein, wenn wir Probleme möglichst umfassend gelöst haben, und unglücklich zu sein, wenn uns das nicht gelingt.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 170.

»Das so verstandene, im Dienste der Problemlösung stehende Glück liefert... das philosophische Gegenargument gegen Drogen aller Art, gegen den Kult des ›starken Gefühls', den Spaß an Aufregungen um ihrer selbst willen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 171.

»Auf Drogen  wegen ihrer gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen zu verzichten, ist nicht der Punkt, der philosophisch interessant ist. Eines Tages wird man  nebenwirkungsfreie Drogen erfinden.  Das philosophische Argument ist: Jedes Glück, das wir erreichen können, ohne uns mit der Wirklichkeit auseinandersetzen zu müssen, wird uns von der Realität trennen. Dieser Realitätsverlust  ist keine pharmazeutisch vermeid­bare Nebenwirkung, sondern eine unvermeidbare Folge der fehlenden Ver­knüpfung von Gefühlen mit einem vernünftigem Problemlösungsverhalten.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 171.

»Den Sinn des Lebens werden wir nicht finden, wenn wir ihn nicht erfinden. Ein Leben ohne Probleme wäre sicher keine gute Erfindung. Ein solches Leben scheint mir ebenso wenig wünschenswert wie das Lösen von Problemen ohne die ­beglei­tende Gefühle der unglücklichen Belastung und des glücklichen Gelingens.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 171. 

Demokratie und die  Mehrheit      Zurück nach oben

»Die Herrschaft der Mehrheit hat nichts mit Demokratie zu tun; das Mehrheitsprinzip bei demokratischen Abstimmungen jedoch sehr viel. Die Konfusion beider Begriffe und die Etymologie des Wortes ›Demokratie‹ als ›Volksherrschaft‹ dürften die beiden Hauptgründe für die Neigung der westlichen Demokratien sein, sich in Mehrheitsdemokratien umzuwandeln.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Mehrheitsdemokratie

Demokratie ist nicht Herrschaft der Mehrheit:  »Die Herrschaft der Mehrheit verbessert die Kontrolle der Macht nicht, sondern macht sie unmöglich.« Hingegen ist »Demokratie als Machtkontrolle... ein nie abgeschlossenes Zukunftsprojekt und unendlich entwicklungsfähig.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Kontrolle der Macht.

Toleranz und Relativismus      Zurück nach oben

»Relativismus ist der Glaube der Mittelmäßigen, die sich auf einfache Weise von der schweren Last befreien, Objektivität anzustreben, nach Wahrheit zu suchen und stichhaltige Argumente zu finden.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Relativismus.

»Wenn wir die Handlungsweisen der Menschen einer fremden Kultur oder einer vergangenen Zeit verstehen wollen, müssen wir die dort gültigen Werte als gegeben hinnehmen, ganz gleich, ob sie nach heutigem Wissen rational oder irrational wären, und  wir müssen die Frage stellen, welches Problem  mit den dort zur Verfügung stehenden Mitteln gelöst werden sollte.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 35.

Harmloser Relativismus:  »Probleme kann man tatsächlich immer nur aus der Logik der Situation verstehen, aber die Adäquatheit ihrer Lösungen, das dabei gefundene Wirklichkeitsverständnis und die damaligen Wertungen kann prinzipiell jeder beurteilen, auch wenn er nicht selbst in dieser Situation lebt oder gelebt hat.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 90 – 91.

»Gefährlicher Relativismus: Wer der Toleranz auf diese Weise dienen möchte, dass er die Unmöglichkeit predigt, sich über Wahrheit und Werte argumentativ einigen zu können, der gerät ungewollt auf den Weg der Gewalt und endet bei Intoleranz.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 91. 

»Wenn man Werte als Problemlösungsstrategien begreift, ist die These, man könne das Wertesystem einer fremden Kultur nicht verstehen, gleichbedeutend mit der These, man könne ihre Probleme nicht ver­stehen.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 183.

»Zeit- und kulturgebundene Problemlö­sungen kann man sowohl vom Standpunkt der betreffenden Kultur als auch von unserem heutigen Standpunkt aus nachvollziehen und beurteilen, wenn man die Problemlage einmal erfasst hat.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 184. 

»Es gibt also aus der Sicht des Kritischen Rationalismus drei Entwicklungsstufen der Toleranz: (1) Andere Auffassungen nicht mit Gewalt unterdrücken. (2) Meinungsfreiheit und Pluralismus der Lebensweisen zulassen und fördern. (3) Es für möglich halten, dass der andere Recht und man selber Unrecht hat.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Toleranz (kursiv nur hier).

Toleranz in der Politik und das Souveränitätsprinzip      Zurück nach oben

»Unaufschiebbar verlangt das Problem vom Ende der Toleranz seine Lösung in den zwischenstaatlichen Beziehungen. Dort verboten bisher das Souveränitätsprinzip, das Nichteinmischungsprinzip und das Selbstbestimmungsrecht der Völker die nicht gewünschte Intervention in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Diese Prinzipien schienen lange Zeit Werte an sich zu sein, die auch in Fällen von brutalster Gewalt gegen die eigenen Untertanen respektiert wurden. Deshalb wurden diktatorische und sogar äußerst despotische Staaten bisher toleriert.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 2.

»Selbst die abscheulichsten Verbrechen in Somalia 1992, Ruanda 1994, Srebrenica 1995 oder Darfur 2003 brachten die Weltgemeinschaft nicht dazu, allgemeine Regeln zu unterschreiben, die in derartig krassen Fällen der Toleranz ein Ende bereiten könnten.« - »Schuld daran ist erstens die vage Formulierung des Nichteinmischungsprinzips der UN-Charta Artikel 2.7 als "matters which are essentially within the domestic jurisdiction of any state", die nicht ausdrücklich klärt, ob Menschenrechtsverletzungen zu den inneren Angelegenheiten zählen. Und Schuld daran ist zweitens die hartnäckig verteidigte politische Leitidee der Souveränität der Staaten.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 16.

»Der Dreh- und Angelpunkt des Regelwerkes [The Responsibility to Protect 2001] ist der Begriff ›Souveränität‹, der angeblich die Verantwortung beinhaltet, die Staatsbürger vor unnötigem Leid zu schützen.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 18.

Aber es »hätte im Voraus klar sein müssen, dass Staaten wie die USA nicht den kleinsten Zipfel ihrer Souveränität hergeben und keinem Land der Welt im Voraus das Recht einräumen werden, unter irgendwelchen Umständen die Verhältnisse in ihrem Land mit militärischer Gewalt zu ändern.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 18.

»Die ›Souveränität als Pflicht zu schützen‹ war... ein unnötiges und unnötig herausforderndes Prinzip. Kein Wunder, dass bezüglich der Verhinderung künftiger Völkermorde bisher nicht mehr erreicht werden konnte, als den 7. April zum Erinnerungstag ›Remember Rwanda!‹ auszurufen. Die Diskussion wird also bei den nächsten Menschenrechtsverbrechen wieder aufflammen, die nicht lange auf sich warten lassen werden.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 18.

»Kein Staatschef und keiner seiner Abgesandten wird gerne zugeben, dass er das Maß an Gewalt und Leid in der Welt vergrößern möchte. Wenn man aber die Frage so umformuliert, dass er nur ›zugeben‹ muss, die Souveränität seines Landes über alles zu schätzen und allzeit zu verteidigen, dann wird ihm nichts leichter fallen... Der Beifall vieler anderer Staaten wird ihm sicher sein.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 19.

»Die Aufgabe, die eine rationale Philosophie hier übernehmen muss, ist klar: Sie muss gegen das traditionelle Sprachspiel anarbeiten, Rechtswerke und Präambeln mit wohlklingenden, aber vielfältig deutbaren Begriffen wie Souveränität, das Wahre, Gute und Schöne zu verzieren, wenn es nachher darum geht, daraus ganz konkrete Regeln abzuleiten...« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 19.

»Aus Toleranz als Prinzip der Gewaltminimierung folgt... die... Vorschrift über den minimalen Militäreinsatz. Sie folgt nicht aus der Souveränität der Staaten.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 19.

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»Von ›objektiver‹ Toleranz zu reden, bedeutet also nicht, von der wahren, richtigen oder allgemein akzeptierten Toleranz zu reden. Sondern mit ›objektiver Toleranz‹ ist die Toleranz gemeint, die als soziale Institution erforschbar ist, die in Schriften, Gesetzen, Traditionen usw. als ein Objekt der Forschung vor uns liegt, als etwas, über das die Forscher Aussagen machen können, die völlig unabhängig sind von ihrer eigenen Einstellung in Fragen der Toleranz.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 6.

Vorgeschlagen als Kandidat ›objektiver Toleranz‹: »Toleranz ist eine soziale Institution, die die Gewaltminimierung und die Ermöglichung autoritätsfreier rationaler Diskussionen und vielfältiger Lebensweisen zum Ziel hat.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 6.

»Niemand wird behaupten wollen, dass ein US-amerikanisches Leben soviel wert ist wie zehn irakische Menschenleben. Und doch darf man davon ausgehen, dass der Irakfeldzug 2003 nicht stattgefunden hätte, wenn der amerikanische Präsident die Zahlen der zu erwartenden Opfer vertauscht und als Zahl der amerikanischen getöteten Zivilisten eine fünfstellige Zahl genannt hätte.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 22.

»Nirgendwo in der Welt sind wir heute bereit, die Menschen tatsächlich 1:1 als gleichwertig zu behandeln. Aber kein Politiker, der die UN-Menschenrechtsdeklaration von 1948 unterschrieben [anerkannt] hat, würde wagen, solche Ungleichheit offen auszusprechen...« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 22.

»Das Risiko von Fehlentscheidungen kann dann drastisch gesenkt werden, wenn nach jeder Diskussion, in der es um ein Aussetzen der Toleranz geht, von jedem  Stimmberechtigten der UN der Nachweis verlangt werden kann, dass bei seiner Entscheidung (a) das Prinzip der Gewaltminimierung an sich, (b) das Prinzip der Gewaltminimierung zur Verbesserung der Meinungsfreiheit und (c) das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen nicht verletzt worden sind.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 23.

»Kein UN-Mitglied und kein Sicherheitsratsmitglied wird aber öffentlich vertreten, dass es vorhat, die Probleme in dieser Welt zu vermehren, das Leid zu vergrößern, mehr Gewalt als nötig freizusetzen oder den Menschen verschiedener Nationalität oder Ethnie ungleichen Wert zuzusprechen. Ein Staat, der derartiges verträte, würde... an seinen eigenen Maßstäben gemessen werden und hätte mit keiner Toleranz von Seiten der Toleranten zu rechnen.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 23.

»Niemand ist ›legitimiert‹, Andersdenkende auf eine solche [objektive] Toleranz einzuschwören. Aber wir haben die Möglichkeit, unsere Grundsätze so zu formulieren, dass auch intolerante Menschen sie nicht leicht zurückweisen können.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 24.

Charta der UNO:  Gewaltminimierung statt Souveränitätsprinzip      Zurück nach oben

»Hinter dem ›Prinzip der Nichteinmischung‹ der UN Charta, Artikel 2.7, steckt die hartnäckig verteidigte politische Leitidee der Souveränität der Staaten ... (Artikel 42).« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Am Auffälligsten zeigen sich die Fehler der UN Charta in der Unfähigkeit der Vereinten Nationen,  gegen Menschenrechtsverletzungen, ethnic cleansing und Völkermord vorzugehen. Schreckliche Beispiele sind Somalia 1992, Ruanda 1994, Srebrenica 1995 und Darfur 2003. ... Was die Vereinten Nationen bisher am Einschreiten hinderte, sind unzulänglich formulierte Paragraphen, die es zulassen, Menschenrechtsverletzungen wie den Völkermord in Ruanda 1994 als ›innere Angelegenheiten‹ eines Staates auszulegen, aus denen sich die UN und andere Staaten herauszuhalten haben.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Dieser Kern nationalistischen Denkens kann nur von einer weltweit gestreuten Gemeinschaft vernünftig Denkender überwunden werden, wie sie nun durch das Internet und durch Wiki-Projekte ermöglicht wird. Nur aus objektiver Sicht kann man alle Menschen als gleichwertig berücksichtigen. Und nur so kann man zu Lösungen kommen, die besser sind als die üblichen diplomatischen Kompromisse, bei denen die Interessen der verschiedenen Staaten in einem mehr oder minder versteckten Machtkampf ausgeglichen werden.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Die General Assembly der UN sieht nicht ein, dass der Begriff Souveränität seine eigene Einschränkung beinhalten soll. Kein Land und erst recht nicht große Staaten wie die USA und China möchten ihre volle Souveränität in irgendeiner Weise eingeschränkt sehen. Wir brauchen also andere Lösungen.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Da kaum jemand für eine Vermehrung der Gewalt in der Welt plädieren wird, sollte es möglich sein, jeden Staat auf ein Prinzip der Gewaltminimierung zu verpflichten.  Ein Änderungsantrag für die Charta der UN, gerichtet an die General Assembly, wäre dementsprechend: ›Jeder Staat verpflichtet sich, bei allen seinen Aktionen jeweils die Handlungs- und Unterlassungsalternative zu wählen oder die entsprechende UN-Entscheidung zu akzeptieren, die die Gewalt in der Welt minimiert‹.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Das Prinzip der weltweiten Gewaltminimierung funktioniert aber nur in Verbindung mit einem zweiten, ebenso einfachen und klaren Prinzip, das auf allgemeine Zustimmung hoffen darf: dem Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der US-Kongress diesem [Irak-] Krieg oder seiner Finanzierung zugestimmt hätte, wenn ihm die Gesamtzahl der Opfer als Zahl der amerikanischen Opfer präsentiert worden wäre.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

 »Nirgendwo in der Welt sind wir heute bereit, die Menschen tatsächlich als 1:1 gleichwertig zu behandeln. Ähnlich wie die US-Amerikaner wären auch die Europäer nicht bereit, 8000 Europäer zu opfern, um 800 000 Tutsi und Hutu in Ruanda zu retten; und zwar auch dann nicht, wenn das Ausmaß der Verbrechen im Voraus klar erkennbar wäre.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Kaum ein Politiker würde aber wagen, den Menschen verschiedener Nationen einen derart ungleichen Wert zuzumessen oder überhaupt von Ungleichwertigkeit zu sprechen.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Wenigstens im Tod sollten alle Menschen gleich sein und gleich gezählt werden. Aber dazu müsste die Gleichwertigkeit aller Menschen erst einmal klar in den Menschenrechten verankert sein.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Wer Gewaltminimierung unterschrieben hat, muss bei gewalttätigen Maßnahmen im Innern seines Staates mit dem militärischen Einschreiten aufgrund eines UN-Beschlusses rechnen, falls dadurch das Maß an freigesetzter Gewalt, über eine gewisse Dauer gesehen, insgesamt vermindert wird.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Kein UN-Mitglied und kein Sicherheitsratsmitglied würde öffentlich vertreten wollen, dass es vorhat, die Probleme in dieser Welt zu vermehren, das Leid zu vergrößern, mehr Gewalt als nötig freizusetzen oder den Menschen verschiedener Nationalität oder Ethnie ungleichen Wert zuzusprechen.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Die bisherige Diskussion um eine Einschränkung der Souveränität war unklug, weil jeder, der das Nichteinmischungsprinzip retten wollte, nur für die volle Souveränität aller Staaten plädieren musste. Er durfte mit viel Beifall rechnen.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

Objektive Toleranz als institutionalisierter Gewaltverzicht      Zurück nach oben

»Historisch ist die am Ende der Religionskriege beschlossene Toleranz als Gewaltverzicht und als Bereitschaft zur Koexistenz eine Resignationslösung, die darauf verzichtet, die Konflikte bis zum Ende auszutragen... Doch im Gefolge der Gewaltabstinenz kommt eine zweite, positive Wirkung der Toleranz zum Vorschein, die zunächst gar nicht beabsichtigt war. Da die Konflikte weiterbestehen und gelöst werden wollen, müssen sie nun statt mit Gewalt mit Argumenten ausgetragen werden.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 5.

»Toleranz [als Gewaltminimierung] stellt daher den optimalen Rahmen für die rationale Diskussion bereit, in der die jeweils besten Problemlösungen gefunden werden sollen. « Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 5.

»Jede Form von Gewalt verringert bei einer Diskussion die Zahl der betrachteten Konfliktlösungsversuche oder verhindert das Erkennen von Fehlern in den Lösungen. Nur Toleranz, also Gewaltverzicht, macht es möglich, alle zur Zeit möglichen Alternativen zur Auswahl zu stellen und deren Vor- und Nachteile zu diskutieren.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 5.

»Es ist wahrscheinlich nicht überflüssig darauf hinzuweisen, dass diese Art der Toleranz [Gewaltminimierung] weit über die traditionelle Toleranz der heutigen Religionen und der Aufklärung hinausgeht.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 5.

»Die vielen Folgen, die eine objektive Toleranz [als Gewaltminimierung] als Rahmen der gewaltfreien Diskussion hat, sind unübersehbar und unschätzbar wertvoll für jede Gesellschaft. Nicht nur macht objektive Toleranz sämtliche Wissenschaften erst möglich, sie hat auch die innere Kraft, alle Diktaturen zu zerbrechen, denn noch nie hat eine Diktatur die Toleranz gegenüber beliebigen Meinungen und damit die Einführung freier Kritik und alternativer Lebensweisen überlebt.« Niemann, H. J., Objektive Toleranz, Abschnitt 6.

Kausalität und Determinismus, Propensities und Serendipities      Zurück nach oben

»Alles, was überhaupt geschehen kann, kann nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit geschehen.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 7.

»Dieses Rückwärtsblicken ist der Grund für den Eindruck, die existierende Welt sei völlig kausal. Wenn wir die Geschichte physikalischer Dinge betrachten, ist alles wohlgeordnet, eines folgt kausal aus dem anderen.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 8.

»Von der Gegenwart in die Zukunft geschaut ist die Welt voller Wahrscheinlichkeiten zwischen Null und Eins.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 8.

»Es gibt eine weitgehende Strukturgleichheit der Wahrscheinlichkeitsverhältnisse bei Elementarteilchen und bei Menschen.... Dass sie ganz unterschiedlich berechnet werden, ändert an dieser Tatsache nichts.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 9

»Sich von der Zukunft in die Gegenwart ziehen lassen: »unter den vielen Möglichkeiten diejenige mit der größten geistigen Anziehungskraft zu wählen und ihr die größte physikalische ›Anziehungskraft‹ zu verleihen.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 9.

»Für unsere Lebensweise, unser Glück, unsere Selbstverwirklichung ist es wichtig, dass wir aufhören zu glauben, eine bestimmte, im Geiste vorgestellte Zukunft werde ›vielleicht‹ eintreten und sei nur deshalb ›wahrscheinlich‹ zu nennen, weil wir nicht wissen, wie sie sein wird. An die freiwerdende Stelle könnte als Leitidee treten, dass unsere Zukunftsmöglichkeiten von real vorhandenen Wahrscheinlichkeiten abhängen, die wir beeinflussen können.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 10.

»Beeinflussbare Propensities [sorgen] dafür, konkrete Ziele zu erreichen, die uns, wie wir hoffen, glücklich machen werden[i]. Beeinflussbare Serendipities sorgen dafür, dass wir Glück dort finden werden, wo wir uns auf etwas völlig Neues, Unbekanntes eingelassen haben.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 10.

Propensities      Zurück nach oben

»Jedes Plädoyer, sogar jede Meinungsäußerung in einer Dorfversammlung, im Rathaus der Stadt oder in der Zeitung erhöht jeweils die Propensitäten [Verwirklichungswahrscheinlichkeit] um einen kleinen Betrag. Wenn wir uns in der Politik auch selten durchsetzen können, so können wir durch unsere politische Aktivität doch immer die Verwirklichungswahrscheinlichkeiten erhöhen. Jeder kann jederzeit die Propensitäten beeinflussen. Wer dagegen an ein vorgegebenes Schicksal glaubt oder in Null-oder-Hundertprozent-Kategorien denkt, wird entweder zum Fanatiker oder zum politischen Ohnemichel.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Propensitäten.

»Abgesehen von einigen wenigen Vordenkern erkannte man den durchgängigen Zufallscharakter der Welt erst 1927.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 12.

»Die Quantenphysik liefert... eine neue Weltdeutung: Die Vergangenheit kann man genau rekonstruieren, die Zukunft nicht, sondern nur mit Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Die Zukunft ist indeterministisch. Was überhaupt geschieht, geschieht wahrscheinlich.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 13.

»Propensities sind »real, weil sie nachprüfbar auf die Wirklichkeit wirken und weil wir auf sie wirken können Das ist das Kriterium für ›real sein‹« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 13.

»Die Zukunft wirkt auf die Gegenwart durch ›Anziehung‹, wenn wir damit die Wahrscheinlichkeit der Möglichkeiten meinen, die wir vergrößern wollen und vergrößern können« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 14.

»Es ist fatal, dass »echter Zufall schwer zu verstehen ist.  Darum ist das Jahrtausende alte, ganz und gar falsche Weltbild noch nicht restlos verschwunden. Es lebt weiter als eine schwere Erblast, die unser Denken und Handeln im täglichen Leben einschränkt, wo es frei und kreativ sein könnte.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 14.

»Bei dieser Erblast [des Determinismus] handelt es sich um den weitverbreiteten Glauben, dass wir nur deshalb sagen ›das und das wird wahrscheinlich geschehen‹, weil wir nicht wissen, was geschehen wird.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 14.

»Noch ist der Glauben allzu fest verankert, dass, so wie die Gegenwart aus der Vergangenheit hervorgegangen ist, auch die Zukunft aus der Gegenwart hervorgehen müsse und niemals das Umgekehrte der Fall sein könne, dass die Gegenwart aus der Zukunft hervorginge.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 15.

»Die unveränderliche Vergangenheit schiebt uns in die Gegenwart; die kreative Zukunft zieht uns hinein.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 15.

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»Um diese realen physikalischen Wahrscheinlichkeiten von solchen Wahrscheinlichkeiten zu unterscheiden, die nur in unserem Kopf existieren und unser unzureichendes Wissen ausdrücken, heißen sie ›Propensities‹... Wahrscheinlichkeiten und Propensities sind... physikalisch verschiedene Dinge, auch wenn wir öfter das gebräuchlichere Wort ›Wahrscheinlichkeit‹ anstelle des korrekten ›Propensity‹ verwenden.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 17

»Propensities sind auch deshalb wirklich vorhanden, weil sie das Kriterium für wirklich Vorhandenes erfüllen: Man kann auf sie einwirken und sie können auf die Wirklichkeit einwirken.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 17.

»Propensities der Elementarteilchen [sind] nicht einfach die Eigenschaft eines Teilchens..., sondern offenbar sehr stark durch die Struktur des Raumes bestimmt..., in dem sie sich bewegen.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 18.

»Propensities von Einzelereignissen spielen in unserer Lebenswelt eine große Rolle.... Auch wenn wir die Propensities in unserer individuellen oder sozialen Welt nicht quantitativ berechnen können, sind sie doch in bestimmten Werten vorhanden... In jedem Augenblick haben diese Propensities einen bestimmten Wert, den wir nicht immer, aber doch oft genug willkürlich verändern können.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 19.

»Es ist nützlich, sich Propensities immer auf einer Skala von Null bis Hundert Prozent vorzustellen.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 19.

»Die Zukunft bringt die Gegenwart hervor, und wir können daran mitwirken.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 20.

»Die Vergangenheit führt uns an Kausalketten in die Gegenwart; gleichzeitig zieht uns die Zukunft mit ihren Propensities in die Gegenwart.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 22.

»Propensities sind reale physikalische Größen, weil sie beeinflussbar sind und weil sie die Wirklichkeit beeinflussen.  Für unsere Lebensgestaltung hängt viel davon ab, ob wir erkennen, dass sie real vorhanden sind und dass wir sie folglich vergrößern können...« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 23.

»Im Gegensatz zu jener einstmals vieldiskutierten ›Vielweltentheorie‹ [Hugh Everett] behaupten wir, dass nicht die Gegenwart sich in viele Welten aufspaltet..., sondern dass es die Zukunft ist, die bereits in viele mögliche Welten aufgespalten vor uns liegt, die eine unterschiedliche, aber reale Wahrscheinlichkeit haben, Wirklichkeit zu werden. Nur eine der vielen möglichen Welten wird realisiert, die eine, die in jedem Augenblick Gegenwart wird.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 23.

»Wenn wir uns die Vergangenheit als ein aus vielen Kausalfäden gewundenes Seil vorstellen, dann müssen wir, um im Bild zu bleiben, uns die Zukunft als eine Vielzahl solcher Seile und Kausalfäden vorstellen, deren Glieder und Abschnitte mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten auf uns zulaufen, um im Augenblick der Gegenwart ein nur einziges Seil Wirklichkeit werden zu lassen; das Seil, an dem wir, fast wie die Nornen, zuvor ›mitstricken‹ konnten.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 23.

»Nur in einer nicht vorbestimmten, nicht-determinierten Welt kann es prinzipiell Neues geben. Nur eine nicht-determinierte Welt ist eine kreative Welt.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 23.

»Selbstverwirklichung ist nicht mehr nur, das Wirklichkeit werden zu lassen, ›was in uns steckt‹, was in unseren Genen steckt, was sich seit der Kindheit Schritt für Schritt ›entwickelt‹ hat, was die Fortsetzung unserer Vergangenheit ist, sondern auch das, was als bekannte oder unbekannte Möglichkeiten in der Zukunft liegt.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 23.

»Werde der, dessen Propensities du verstärken kannst und verstärken willst.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 24.

Serendipities      Zurück nach oben

»Wie unvorstellbar und neu die Zukunft sein kann, wissen wir aus Abenteuerromanen oder aus dem größten Abenteuerroman überhaupt: aus der menschlichen Geschichte.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 24.

»Dem naiven, unvorbereiteten Menschen gelingen selten große  Entdeckungen. Er hat unzählige Male die Sonne um die Erde kreisen sehen und sich nichts dabei gedacht.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 28.

»›Serendipity‹... bedeutet, nach Neuem zu suchen, mit Wissen oder mindestens mit Fingerspitzengefühl dafür, wo Neues zu finden sein könnte, und, wenn man darauf gestoßen ist, dessen Potenzial zu erahnen und zu versuchen, ›daraus etwas zu machen‹.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 25.

»Die Serendipity-Strategie ist also: Erst die Klugheit, die Entdeckungen wahrscheinlich macht, dann die überraschende Neuigkeit, dann wieder die Klugheit, die aus ihr etwas macht.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 26.

»Gut zu wissen, »dass die Zukunft ungeahnt viel Neues enthalten muss, weil das auch in der Vergangenheit stets der Fall war.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 26.

»Serendipity kann »die Studenten beliebiger Disziplinen beflügeln, nicht nur in der Vergangenheit zu graben, nicht nur das historische Material neu zu arrangieren, aufzuarbeiten, zu vergleichen oder zu kommentieren, sondern die Zukunft ›auszubeuten‹, also auch an das völlig Neue zu glauben, das real vor ihnen liegt und mit ein bisschen Scharfsinn aufgedeckt und mit einem weiteren Quant Scharfsinn in etwas Wertvolles verwandelt werden kann.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 26.

»Auch die eigene Zukunft ist nicht nur völlig offen, sondern enthält überraschend Neues, das allerdings nicht ohne etwas Klugheit freigelegt werden kann.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 26.

»Das ist Teil unserer Menschenwürde, die wiederum der Grund für die Ablehnung der Todesstrafe ist: In diesem Sinne bedeutet sie, dass wir alle prinzipiell zu ganz und gar Neuem fähig sind, zu totalem Wandel, zu völliger Umkehr.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 26.

»Wer sich in Probleme vertieft, sie analysiert und immer wieder neu und anders formuliert, bringt sich in die Nähe solcher Situationen,  in denen glückliche Zufälle winken.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 27.

»Serendipity bezeichnet also eine besondere Situation und eine besondere Charakterhaltung, eine Neigung und Fähigkeit zu kreativem Handeln. Mit Serendipities haben wir auch die Propensities bezeichnet, etwas Neues zu entdecken, das man noch nicht kennen kann, von dem man aber hofft, dass es wert sei, entdeckt zu werden.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 27.

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»Ein guter Anfang [für Serendipity] ist: Sich gerne überraschen lassen, ohne zu wissen wovon, weil man sich weitgehend darauf verlassen kann, dass man aus der Überraschung etwas Kluges machen wird.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 28.

»Im kreativen Leben ist es so wie... im Fußballspiel...: Man manövriert sich immer wieder in neue, aber vielversprechende Zufallssituationen hinein, in der Hoffnung, dass man selbst oder zusammen mit anderen die Geschicklichkeit und Klugheit besitzt, daraus ›etwas zu machen‹. In ›vielversprechende Zufallssituationen‹ gelangt aber nur, wer sich gut auskennt.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 28.

»Serendipities spielen im täglichen Leben eine Rolle. Ein gutes Gespräch, eine bereichernde Diskussion leben davon, dass nicht jeder nur das sagt, was er oder sie weiß. Vielmehr müssen einige Teilnehmer die Gesprächssituation dahin bringen, dass neue Gedanken auftauchen können, die niemand zuvor im Kopf hatte und die dann aufgegriffen und weiterentwickelt werden können.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 29.

»Nur der gewinnt, der soviel Neues wagt, wie es seiner Klugheit entspricht, wie er mit dem Neuem etwas anfangen kann.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 29.

»Probleme [sind] das Tor zu Neuem. Ob wir an dieses Tor gelangen und ob wir es aufstoßen, hängt von unserer Klugheit ab.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 29.

Propensities und Serendipities

»Der Zukunftsrealist versteht die Verwirklichungswahrscheinlichkeiten seiner Visionen nicht als Ausdruck seines unsicheren Wissens, sondern als ›Propensities‹ und ›Serendipities‹ genannte physikalische Realitäten, an denen man willentlich etwas verändern kann. « Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 29.

»Der Zukunftsrealist... sieht sich nicht nur durch die eigene Geschichte in die Gegenwart geschoben, sondern auch von der Zukunft angezogen und weiß, dass er deren ›Anziehungskräfte‹ vergrößern kann.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 30.

»Wir werden nicht nur auf dem Amboss der Geschichte geschmiedet. Wichtiger sind die Pläne, die wir schmieden, Pläne, Visionen und Utopien, die eine Chance haben, Realität zu werden, wenn wir reale Propensities und Serendipities einbeziehen und verstärken.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 30.

»Propensities und Serendipities sind es, die aus der geistigen Anziehungskraft der Zukunft eine physische machen.« Niemann, H. J., Zwei neue Leitideen, S. 30.

Subjektivismus versus Objektivismus      Zurück nach oben

»Zu vielen subjektiven Vorgängen, wie beispielsweise ›etwas wissen‹, gibt es eine objektive Parallele. Subjektives Wissen ist für andere uneinsehbar und schwer auf andere übertragbar. Seine mögliche Wahrheit spürt man als mehr oder minder starke Gewissheit. Ganz anders verhält es sich mit objektivem Wissen in Büchern, Dokumenten und Zeitschriften, das prinzipiell jederzeit... von anderen nachgeprüft, kritisiert, verworfen, rehabilitiert oder verbessert werden kann... Es ist der Zug, der Poppers philosophische Methode am meisten charakterisiert, dass er diese beiden Welten, das Objektive und das Subjektive, sorgsam voneinander trennt und an vielen Beispielen zeigt, dass die objektive Variante die bei weitem wichtigere ist...« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Subjektiv-objektiv.

Physik, Naturwissenschaften

»Wer Erklärungserfolge erklären kann, müsste letztlich auch erklären können, warum die Welt nicht anders sein kann als sie ist, warum sie strukturiert ist, warum es Naturkonstanz und Naturkonstanten geben muss.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Erklärungserfolge erklären.

»An diesem Erbe [des Determinismus]  schleppen alle Physiker, die bedauern, dass man in der Quantenphysik nur mit Wahrscheinlichkeitsgesetzen arbeiten könne und unser Wissen durch die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation beschränkt sei.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Determinismus.

»Über die Schwierigkeiten der Physiker mit dem reinen Zufall: »Aus ›nicht deterministisch erklärbar‹ wurde ein pauschales ›unerklärbar‹, und aus ›unerklärbar‹ ein Freibrief, beliebige Monstrositäten zu erfinden und die Erklärung schuldig zu bleiben wie im Fall der unerklärten Welle-Teilchen-Verwandlungen, der Zusammenbrüche des Wellenpakets oder der angeblichen Zerstörung der Objektivität der Physik.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Doppelspalt-Experiment.

»Wenn ›Bildung‹ noch ein Ideal wäre und naturwissenschaftliches Wissen mitzählte, wäre dieses Experiment ein Kandidat für die Aufnahme in den Bildungskanon.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Doppelspaltexperiment.

»Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation ist eine der wichtigsten und unumstrittensten Formeln der Physik. Absurd oder mindestens umstritten ist seine eigene Deutung dieser Formel. ... Die richtige Interpretation wäre gewesen: Dinge, die es in der Natur nicht gibt, kann man nicht messen. Heisenberg verstieg sich jedoch zu der Verallgemeinerung, die Wissenschaftler seien nicht mehr in der Lage, ein naturwissenschaftliches Weltbild zu liefern.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Einmischung des Beobachters.

Sicherheit und Gewissheit      Zurück nach oben

»Unterschiedliche Grade von Gewissheit über die Wahrheit von Aussagen sind eine psychologische Tatsache, die man nicht mit objektiver Sicherheit verwechseln darf... Wer weiß, wie viel davon abhängt, den Glauben an die eigene Karriere, den Sportsieg oder das Wieder-Gesundwerden nicht zu verlieren, wird so fest, wie es nur möglich ist, glauben - und bald von subjektiver Gewissheit durchdrungen sein -, zu siegen oder gesund zu werden. Aber [Sicherheit und] die wirklichen Chancen hängen auch vom Können und von der Kondition der Konkurrenten ab beziehungsweise von der Virulenz des Virus.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Gewissheit.

Das Wissen gemeinsam vergrößern

»Gemeinsam kann unsere Intelligenz unglaublich viel größer sein als die eines einzelnen, sogar als die eines genialen Menschen, und diese Möglichkeit dürfen wir uns nicht durch chaotisches Produzieren und Wiedervergessen zerstören lassen. Das Web ist nicht nur ein Mittel, Ideen zu produzieren, es kann auch unklare Probleme in deutlich erkennbare Probleme verwandeln und es kann Lösungen finden, auf die kein einzelner je gekommen wäre.« Niemann, H. J., Lernende Systeme.

»Solche Dinge aus Partizipation, Konkurrenz, Kritik und Tradition heißen lernende Systeme. Funktionierende Beispiele für lernende Systeme, deren Intelligenz die genialer Einzelmenschen weit übersteigt, sind die Wissenschaft, die Demokratie, die Wirtschaft, aber auch ein Gesetzbuch, ein Fotoapparat, ein Auto.« Niemann, H. J., Lernende Systeme.

Wikipedia: »Auch das Wort ›vernünftig‹ taucht öfter auf, als es bisher in avantgardistischen Kreisen üblich war. Nach all den Jahren der Sprachverdunkelung scheint auch Poppers Traum einer Literatur, die sich ausdrücklich um Klar-Schreiben bemüht, in Erfüllung zu gehen.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Es gibt ... einen auch für Laien und Wikipedia-Autoren leicht feststellbaren Unterschied zwischen anerkanntem und zweifelhaftem Wissen: Wäre die Falsifikation eine Sensation und wäre eine weitere Verifikation relativ langweilig?  Dann handelt es sich um wissenschaftlich bewährtes Wissen. - Ist es aber umgekehrt, wäre die Verifikation eine Sensation und jede weitere Falsifikation relativ langweilig, dann handelt es sich um Pseudowissenschaft.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Der Schreiber eines entsprechenden Artikels z. B. über die Darwinsche und die biblische Erklärung des Ursprungs der Menschen muss auf diesen Unterschied aufmerksam machen: dass es in der Wissenschaft eine unglaubliche Sensation und folgenreiche Revolution bedeuten würde, wenn letztere sich als wahr erwiese.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Bei brandneuem Wissen kann niemand etwas dagegen haben, wenn es schon dargestellt wird, bevor viele Bewährungen stattgefunden haben. Die Information darüber, was an der vordersten Front der Forschung geschieht, ist in diesem Fall wichtiger als die Sicherheit der Ergebnisse.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

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»Die Notwendigkeit, das Wissen der Geisteswissenschaften, beispielsweise das der Philosophie, dorthin zu bringen, wo es fehlt, wird daher am schnellsten deutlich, wenn man sich drastische Fälle in Erinnerung ruft, etwa den Ausbruch von Kriegen, die teilweise mit ungültigen Argumenten begründet worden sind.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Politiker sind allzu leicht bereit, auf ungültige Argumente zu setzen, wenn sich mit ihnen ihre Ziele schneller durchsetzen lassen. Sie müssen dabei nur sicher sein, dass die ungültigen Argumente bei ihren Wählern noch verfangen.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Um zu besser kontrollierten Problemlösungen zu kommen, ist es ... notwendig, dass breite Bevölkerungsschichten zwischen gültigen und ungültigen Argumenten unterscheiden können.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Viele unabschätzbar wichtige Argumente der Philosophie sind jahrhundertelang unberücksichtigt geblieben; z. B. die beiden ›Humeschen Gesetze‹, wonach aus dem Sein kein Sollen folgt und aus Beobachtungen keine Theorie.«

»Das Hantieren mit dem Urheber- und Copyrightstempelchen, die Prioritäts- und Kompetenzstreitigkeiten, die Eroberung und Reservierung der Zugänge zu den Medien, der Kampf um Ansehen, Autorität, Auszeichnungen und Preise, die Verlängerung  der Publikationsliste um fast jeden Preis, die stille Verabredung von Zitierkartellen und viele andere Unarten, die besonders dort aufblühen, wo das Wissen nicht wie in den Naturwissenschaften durch Erstveröffentlichung oder Patente klar dem Urheber zugeordnet werden kann: Das alles überdeckt, dass diese vielen Institutionen, die zur Erzeugung von Wissen anstacheln sollen, nicht das Ziel, sondern nur das Mittel zu etwas viel Wichtigerem sind: Der Menschheit geht es nicht um die Autoren und Erfinder, sondern um deren Werke und Entdeckungen.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Der nächste Schritt sind offene politische Wikis zur Lösung drängender politischer oder moralischer Probleme.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»Was wir von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erwarten und was wir in der Wissenschaft, in lexikalischen oder in politischen Wiki-Projekten anstreben, ist nicht Neutralität, sondern Objektivität.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

»In juristischen Fragen, die uns alle angehen, wie sie etwa die Menschenrechte aufwerfen, die Charta der Vereinten Nationen oder die Europäische Verfassung, werden Fachjuristen aus traditionellen Gründen nur zögernd Außenstehende an ihren Überlegungen teilhaben lassen oder Ideen von dort übernehmen. Verbesserungsprozesse sind auf diesem Gebiet in hohem Maße ritualisiert und gegen von außen kommende Verbesserungen abgeschirmt.« Niemann, H. J., Was alle angeht, S. 67-93.

Diverse Lebenssituationen      Zurück nach oben

»Verantwortungsvolles Handeln wird kaum zustande kommen, wenn der eine die Verantwortung als Entscheidungsverantwortung hat und der andere sie als Folgenverantwortung tragen muss.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Verantwortung.

»Ein häufiger Fehler bei der Beantragung von Forschungsmitteln ist, dass nur die Erfolgsaussichten beschrieben, nicht aber im Voraus die Umstände verraten werden, aus denen die Prüfer später das Scheitern des Projektes ablesen könnten; Umstände, die der Fachmann meist genau kennt.« - Niemann, H. J., Strategie der Vernunft (2008), S. 101, Anm. 63.

»Je engagierter jemand seine Sache vertritt, desto weniger Neigung verspürt er, Alternativen und Kritik in Betracht zu ziehen oder gar zu suchen.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Engagement.

»Individualisten haben oft eine Neigung, die politischen Institutionen als Einschränkung ihrer Individualität anzusehen... Tatsächlich wäre der Individualismus aber mehr gefährdet, wenn es die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen, die die Freiheit einschränken, nicht gäbe.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Individualismus.

»Historizismus im Alltagsdenken ist weit verbreitet und findet sich im Glauben an den automatischen Fortschritt oder an ›Schicksalsmächte‹ und Horoskope (Fatalismus); er steckt im Futurismus mit seiner Auffassung, dass Künstler oder Techniker die Zukunft vorwegnehmen könnten; er zeigt sich in der Rede von der Geschichte als Richterin und im Glauben an die Unvermeidbarkeit von Kriegen; oder auch nur in Plattitüden wie ›was überhaupt geschehen kann, wird geschehen‹. Die Folgen des historizistischen Denkfehlers sind meist schwerwiegend; denn wir verzichten auf die Möglichkeit, uns eine bessere Zukunft vorzustellen und sie herbeizuführen.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Historizismus im Alltag.

»Vergleichen ist immer viel einfacher als absolut zu bewerten... In einer gegebenen Menge von Alternativen ist das vergleichsweise Beste immer identisch mit dem absolut Besten.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Komparativismus.

»Künstler [haben], um der unendlichen Vielfalt zu entgehen und in der Beschränkung ihre Meisterschaft zu zeigen, nie alle neu verfügbaren Techniken verwendet...« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Kunsttheorie.

»In abstrakter Weise folgen Musik und Wissenschaft einer gemeinsamen Methode: Das alte, zunächst unkritisch akzeptierte Schema wird durch ein neues ersetzt. Mit den anfänglich vermuteten Regelmäßigkeiten begegnen wir der Welt, entdecken neue andersartige Regelmäßigkeiten, akzeptieren diese und versuchen nun mit diesen, weitere neue Regelmäßigkeiten zu entdecken und zu erforschen.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Musiktheorie.

»Einige Elementarsätze der Logik haben eine unübersehbare Bedeutung für das Denken und Argumentieren. Sie werden im Alltagsdenken leider allzu wenig angewendet. Auch in der philosophischen Literatur führen sie ein unscheinbares Dasein und werden oft sogar missachtet.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Minimallogik.

»Nach Max von Laue (1947) soll »man "eine Entdeckung erst auf den Zeitpunkt datieren, zu welchem sie mit solcher Deutlichkeit und Bestimmtheit ausgesprochen wurde, dass sie nun auf den weiteren Fortschritt einwirkte".« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Priorität.

»Nur wenn wir die Ziele und die soziale Funktion der Traditionen verstehen, können wir sie kritisieren und verbessern. Einer der wichtigsten Beiträge Poppers zur Soziologie ist der Aufruf zum Studium und zur konservativen Kritik der Traditionen. Sie sollte konservativ sein, weil es schwer ist, neue Traditionen zu schaffen und zu verankern.« Niemann, H. J., Lexikon, Stichwort: Tradition.

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